Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
sie
könnte in Gefahr sein.
Dann begriff
sie es nicht. Im Haus war niemand. Wäre es möglich, das Haus über die Dächer zu
verlassen? Das gefiel ihr gleichfalls nicht. Das hieße, dass das auch ein Zugang
wäre. Da war ein einfaches Schloss, ein zusätzlicher Riegel. Sie hatte bisher nicht
darauf geachtet, diese Tür zur Dachterrasse zu verschließen. Das Türfenster aus
gewöhnlichem Glas ließe sich mühelos eindrücken.
*
Heute im Hundetraining war überraschend
ein Neuer mit einem schwarz glänzenden Labrador zum Kurs gestoßen, Nils mit Darko.
Darko hätte gebissen, müsse resozialisiert werden. Das hatte der Leiter zu Beginn
kurz angemerkt. Pamela musste zweimal hinschauen. Dieser Nils hatte ein gleichmäßig
ovales Gesicht, war mittelgroß, bewegte sich durchtrainiert. Auffallend waren seine
beherrschten, ruhigen Bewegungen, der weiche Schritt, vielleicht etwas zu geschmeidig,
pantherartig. Er war dunkelhaarig mit Millimeterhaarschnitt, so waren die grau werdenden
Schläfen nur schwach erkennbar, seine Augen waren hellgrau, blickten durchdringend
ruhig. Auffallend war sein scharf gezeichneter Mund, vielleicht etwas zu schmallippig.
Pamela sah es, ohne zweimal hingucken zu müssen, dass er schön war und dass etwas
daran nicht stimmte, ein kleiner Zug der Mundwinkel, nicht ausgeprägt, eben verdeckt.
Er hatte kräftige Hände, relativ lange Finger mit eckigen Kuppen, eine zurückhaltende
Stimme. Ein Mann, der erotisch ausstrahlte – und so etwas auf dem Hundeplatz. Er
war betont unauffällig in allem Äußeren: die graue hüftlange Weste mit der in den
Kragen eingerollten Kapuze und den vielen Reißverschlusstaschen. Die militärgraue
Wetterhose, auch sie mit Reißverschlusstaschen, die halbhohen festen Schuhe mit
dicker Gummisohle. Alle anderen trugen Turnschuhe. Jetzt, da die Sonne so warm schien,
holte er aus der Brusttasche einen zusammengefalteten, schlammfarbigen Stoffhut,
wie ihn englische Militärs in Filmen tragen, stülpte ihn auf, er war kleidsam.
Bildete
sie es sich ein? Es war doch ganz normal, dass dieser Nils die Teilnehmer ins Auge
fasste. Doch er benahm sich befremdlich. Wenn sie seinen Blick spürte und sich umsah,
tat er, als bemerke er sie nicht. Sie hatte das Gefühl, er sei, auch wenn er nicht
zu ihr hinsah, total auf sie konzentriert. War er einfach scharf auf Frauen, die
zufällig aussahen wie sie? Eher klein, eher weibliche Formen, relativ rasch in den
Bewegungen, sie hielt sich doch für sportlich. Zumindest war sie hier in diesem
Training und kippte nicht gleich um, wenn es etwas warm war. Möglicherweise hatte
er ein sexuelles Defizit. Doch sie spürte, er war durchaus konzentriert. Er war
an ihr auch nicht sexuell interessiert. Er beobachtete sie einfach, wie ein Jäger
seine Beute ins Auge fasst.
Es war ein
Zufall, dass sie beim Spuren ein Team bildeten. Natürlich war es stressig, sie hatte
Cooper erst ein Mal so nah neben einem zweiten Hund geführt, es war ein Desaster
gewesen. Er hieß Nils Rebmann. Sein Darko suchte andauernd seinen Blick, hündisch
eben, war voll unter Kontrolle. Sein Hund war ja perfekt. Pamela biss sich auf die
Lippen, wünschte Cooper alles Gute, hoffte, die Notfalltropfen beruhigten ihn wirklich.
Und siehe da. Cooper benahm sich so, wie Emily versprochen hatte, dass er es konnte.
Dieser Nils Rebmann war nett. Er
fragte, bevor er die Führung übernahm. Er führte höflich, sehr knapp, fast etwas
zu höflich. Und doch fühlte sie bei jedem Schritt seine Gegenwart, magnetisch. Man
konnte ihm nichts vorwerfen, kein zudringlicher Blick, keinen Zentimeter zu nah,
kein Wort daneben. Nils Rebmann arbeitete auf dem Verkehrsamt, war für irgendwelche
langfristigen Planungen zuständig.
Natürlich,
ein Beamter. Er verkörperte wahrscheinlich alle Eigenschaften eines Staatsangestellten:
ruhig, pflichtbewusst, buchstabengetreu, ordentlich, pünktlich, etwas devot, etwas
sehr beobachtend, vorauseilender Gehorsam, etwas penetrantes Beharren auf dem Pflichtenheft.
Menschen, die so waren, fühlten sich wohl dabei, nicht denken zu müssen. Fast musste
sie lachen, dieses krasse Katalogisieren hatte sie Lucius zu verdanken. Es waren
Vorurteile, Rebmanns geschmeidige Bewegungen, seine Hände, sein Mund passten nicht
zu diesem Bild. Sie fragte sich kurz, ob dieser Mann wirklich acht Stunden am Tag
auf einem Stuhl sitze.
Cooper war
zu stürmisch begeistert, der Spur zu folgen. Als er zum zweiten Mal das Spielzeug
suchen durfte, raste er los. Sie war
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