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Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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ihn so richtig anzusehen. Sie schien ihn nicht zu mögen, er sie übrigens
auch nicht, möglicherweise. Jetzt begann sie laut zu krächzen. Er mochte den Ton
nicht, vor allem, weil sie nicht aufhörte. Als in der Nähe eine weitere Krähe ihr
Geschrei erhob, erleichterte es ihn zunächst. Wer das zufällig hörte, käme nicht
auf die Idee, auf der Eiche sei irgendetwas. Doch diese positive Einschätzung verflog
im Moment, als krächzend eine zweite zu seinem Baum geflogen kam, vier weitere folgten,
ebenso krächzend. Und sie hörten nicht auf, nachdem sie sich überall auf Ästen über
ihm niedergelassen hatten. Sie kollerten und schrien, als wäre er eine Katze, die
ein Krähennest bedrohte. Er sah die oberen Äste des Baumes nicht, doch da musste
ein Krähennest sein. An etwas dermaßen Abwegiges hatte er bisher auch nicht nur
im Traum gedacht. Er kontrollierte die Uhr. Noch zwei Stunden bis Arbeitsschluss.
Er musste handeln. Entschlossen kletterte er den Stamm hoch. Es war nicht schwierig.
Bei einer Eiche ist einzig der Einstieg das Problem. Die Krähen folgten zunächst,
von Ast zu Ast mit ihm hüpfend, dann aber war seine Absicht klar, sie begannen,
ihn zu attackieren, stürzten und flatterten abwechselnd einzeln und gemeinsam auf
ihn, eine schiss ihn an, aus dem Flug. Er hatte eine große Wut auf sie, doch keinesfalls
konnte er schießen, es würde alles verderben. Dann schüttelte er so lange an zwei
Ästen, bis das Nest an ihm vorbei hinunterstürzte. Zunächst verdoppelten die Krähen
ihre Angriffswut. Das Nest lag unten. Ein zufälliger Finder würde nach oben sehen.
Würde seine Beine sehen. Er zog die Beine hoch.
    Er saß weitere
Stunden reglos. Die Krähen hatten sich beruhigt, flatterten schließlich davon. Endlich,
das einzige Auto, das dort noch gestanden hatte, fuhr fort. Kurz darauf fuhr ein
Auto durch das Wegstück, das er von seinem Sitz aus sehen konnte. Ein weinroter
Ford bog um die Ecke des Hauptgebäudes. Ein Mann und eine Frau stiegen aus. Auf
den ersten Blick schien es ein Liebespaar zu sein. Der zweite Blick durch das Sichtgerät
zeigte, sie sicherten das Gelände. Sie schlenderten herum, rüttelten an Türen, blickten
hinter Mauern, suchten Gebüsche ab. Dann fuhren sie das Auto in die Deckung eines
offenen Schuppens. Beide verschwanden im Haus. Er konnte von seinem Hochsitz aus
dessen Fenster nicht sehen, also ging er davon aus, dass man auch ihn nicht sah.
Er musste sich auf sein Gefühl verlassen, dies musste ein Vorauskommando der Rumänen
sein, waren keine Ermittler. Er würde eingreifen, falls irgendetwas nicht nach Plan
verliefe. Sollten sie tricksen, würde es keine weiteren Geschäfte geben, und die
Beteiligten würden gnadenlos umgelegt, hier oder später. Reza käme allein mit dem
Geld, und er würde unbehelligt mit dem Stoff von hier verschwinden.
    Er kannte
Reza in- und auswendig und wusste, er war jetzt nervös. Nach Vorschrift aß er jetzt
einen Happen, sonst würde ihm noch schlecht vor Anspannung. Er war intelligent und
fit, doch er war kein Agent, eben ein Fanatiker. Seit seinem Studium hatte er sich
zum knallharten Radfahrer gemausert. Erstens war es ein Training, zudem war er auf
diese Weise nicht greifbar, fast unsichtbar, lautlos, überraschend da und schon
wieder weg. Schwer zu orten, schwer zu verfolgen. Viele Studenten fuhren Rad. Mittlerweile
kannte er in der nahen und weiteren Umgebung Berns Wege, Sträßchen und Pfade, Schleichwege
und Durchgangsmöglichkeiten, die nicht jeder kannte, im Gelände lag sein Vorteil.
Er wusste den Treffpunkt und dass er das viele Geld gegen einen hochgiftigen Stoff
eintauschte. Den Stoff würde er bis zur weiteren Anweisung in einem Milchkarton
in seinem kleinen Spezial-Zimmer-Tiefkühlgerät aufbewahren. Wenn hier heute irgendetwas
schiefginge, würde er Geld oder Stoff ins Gebüsch werfen und behaupten, er wollte
nächtliche Wasservögel beobachten, er leide unter Heimweh, da mache einer schon
einmal etwas Exotisches. Reza war ein Kämpfer. Mit seinem Adrenalinschub würde er
eine Höchstleistung bringen. Reza wusste, dass er gedeckt wurde, dass er trotzdem
persönlich sehr vorsichtig sein musste. Die Leute, die diesen Stoff verkauften,
gehörten einer östlichen Mafia an. Ihnen ging es nur um das Geschäft.
     
    *
     
    Der erste Witz hatte darin
bestanden, dass er, gegen den alle diese Maßnahmen gerichtet waren, seelenruhig
bei ihnen saß. Hätte er eine Familie, hätte er Freunde, er würde ihnen im Alter
in fröhlicher Runde

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