FOOD CRASH
unserer Ernährung. Wie vielfältig der Nutzen der Biodiversität auch auf ganz anderen Feldern ist, belegt eine im Magazin
Nature,
einer der renommiertesten naturwissenschaftlichen Fachzeitungen, veröffentlichte Studie, [62] nach der ein direkter Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und dem Risiko der Ausbreitung von Infektionskrankheiten besteht: Das Risiko steigt mit dem Rückgang der Vielfalt.
Eine Landwirtschaft, wie sie der philanthropische Abgeordnete Röring den Völkern Ostafrikas verschreiben möchte, leistet genau das: Durch immer größer werdende Feldschläge, durch eine immer engere Eingrenzung oder gar Abschaffung von Fruchtfolgen, mit durchrationalisierten Monokulturen und durch den flächendeckenden Einsatz von giftigen Chemikalien sorgt sie dafür, dass der von ihr gestaltete Lebensraum für immer weniger Pflanzen und Tiere geeignet ist.
Der Rückgang der Vielfalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten ist nur der eine Teil der Katastrophe – allerdings einer mit beeindruckendem Ausmaß. Zwar ist das Aussterben von Arten ein völlig natürlicher Vorgang. Wenn nicht ein Kometeneinschlag oder ähnlich umstürzende Ereignisse ein Massensterben von Arten hervorrufen, hat er eine jährliche Rate, die 0,1 bis 1 pro eine Million Arten für Meerestiere beträgt und 0,2 bis 0,5 bei Säugetieren. Durch menschliche Einwirkung wurde diese Rate um den Faktor 100 bis 1000 erhöht. Der von Menschenhand gemachte Klimawandel wird diese Entwicklung dabei so stark anheizen, dass man noch innerhalb dieses Jahrhunderts mit dem Aussterben von 30 % aller Arten bei Säugetieren, Vögeln und Amphibien rechnet. So ist es jedenfalls einem Beitrag in
Nature
zu entnehmen, auf den ich später noch zurückkommen möchte. [63]
Der zweite Teil des Dilemmas ist noch direkter menschengemacht: der Rückgang der
Agrobiodiversität,
also der Vielfalt an Sorten, Rassen und Arten bei Nutzpflanzen und Nutztieren. Auch hier geht es nicht um das private Hobby der Liebhaber des Bunten Bentheimer Schweines oder von Einkorn und Emmer, sondern um einen sehr speziellen und sehr wichtigen Teil unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Denn die Tiere und Pflanzen, um die es hier geht, sind das Resultat der züchterischen Leistung von vielen, vielen Generationen der Menschheit. Der Verlust an Vielfalt bedeutet auch einen Verlust an genetischen Wahlmöglichkeiten, wenn es darum geht, durch Züchtung Anpassung an sich ändernde Lebensraumvoraussetzungen (wie sie z.B. der Klimawandel schafft) vorzunehmen. Die Menschheit verliert damit Flexibilität, und sie gerät in Abhängigkeit von immer wenigeren, die die Verfügungsgewalt über den Vorrat an Genen haben. Darauf wird im Zusammenhang mit dem Thema Gentechnik noch zurückzukommen sein.
Am extremsten ist die Situation im Geflügelbereich. So gibt es heute weltweit im Wesentlichen nur noch drei Unternehmen, die über den Großteil des Weltmarktes der Legehennenzucht verfügen, allen voran die deutsche Firmengruppe EW Group [64] und das niederländische Unternehmen Hendrix Genetics. 90 % aller Legehennen weltweit (und fast 100 % all derer, die in industriellen Legefabriken ihr Dasein fristen) sind Züchtungen dieser beiden Konzerne. Das verhilft nicht nur zwei internationalen Playern zu einer ungeheuren Macht über unsere Nahrungsmittel, es schafft auch eine gefährliche genetische Verengung – z.B. für den Fall, dass sich Geflügelgrippeviren darauf spezialisieren sollten, Tiere mit einer bestimmten genetischen Konstitution anzufallen.
Ähnlich wie bei Hühnern und Puten sieht es bei den Schweinen aus, und bei den Rindern besitzt das Holsteinrind [65] mit einem Anteil von 90 % aller weltweit gehaltenen Milchkühe schon fast ein Monopol!
Auch bei den Nutzpflanzen gibt es solche Konzentrationen, insbesondere beim Mais, der mit 817,1 Millionen Tonnen Jahresproduktion im Jahr 2009 einen Anteil von ca. 33 % an der Weltgetreideproduktion hatte. Hier gibt es jedoch noch ein anderes Problem: Durch die Konzentration der Ackerproduktion auf das, was die Franzosen »Grandes Cultures« nennen (Weizen, Mais, Gerste, Roggen, Hafer und Reis), hat sich nicht nur die Vielfalt auf den Feldern und in den Gärten der Menschheit und damit die Lebensräume für die Fauna und Flora, die diese Kulturen begleiten, eingeengt, sondern auch der Speisezettel fast aller Menschen.
Die Haitianer haben traditionell mehr als 100 verschiedene Pflanzenarten angebaut, ehe der Fortschritt im Landbau auch sie auf die
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