FOOD CRASH
der Stickstoffdüngung unter 80 kg/ha gedrückt werden. Zwar gelang es, diese bis 2000 von 145 kg auf ca. 100 kg abzusenken, doch seitdem steigen sie wieder leicht an. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass deutlich über die Hälfte des Stickstoffes, der gedüngt wird, nicht von den Pflanzen aufgenommen, sondern in die Gewässer entsorgt oder als Treibhausgase an die Atmosphäre abgegeben wird. Dabei dürfte die industrielle Tierhaltung eine größere Rolle spielen als der Ackerbau. Denn durch deren konzentriert auftretenden Anfall an Hühnerkot, Schweine- und Rindergülle gelangt punktuell besonders viel Stickstoff in den Boden. Dasselbe gilt auch für die Überdüngung der Böden mit Phosphat.
Längst, ehe im Sommer 2010 nach der Explosion der Ölplattform »Deepwater Horizon« die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko lenkte, hatte dort ein Debakel begonnen, das ebenso weitreichende Folgen hatte, aber mangels ölverschmierter Pelikane keine fernsehtauglichen Bilder produzierte: die Ausbreitung einer Todeszone im Mississippi-Mündungsgebiet. Dort wurde durch die Überdüngung aus den flussaufwärts gelegenen Ackerbaugebieten, die vom längsten Strom der Welt durchflossen werden, das Algenwachstum so angeheizt, dass kaum noch Sauerstoff vorhanden ist. Forscher der University of Maryland berichteten im Frühjahr 2010 in der Fachzeitschrift
Science,
dass diese Todeszonen durch die Produktion von Stickoxiden die Ozonschicht beschädigen und zur globalen Erwärmung beitragen. Sie führen aber auf noch viel direkterem Weg zur Verminderung der Nahrungsproduktion, weil in diesen Zonen alles Leben auf dem Meeresboden abstirbt. So wird auch die Nahrungskette unterbrochen, die zur Entstehung von Fischbeständen erforderlich ist.
Solche Todeszonen gibt es auch vor unserer Haustüre. Im November 2010 versuchte das Schwedische Meteorologische Institut in Göteborg die Öffentlichkeit wach zu rütteln. Es verwies darauf, dass sich die Fläche, auf der der Boden der Ostsee biologisch tot ist, immer schneller ausbreitet. Bereits ein Fünftel der Böden in der Kern-Ostsee zwischen Dänemark und den Åland-Inseln sei ohne Sauerstoff. Ein weiteres Drittel der Meeresböden ist angesichts fortschreitenden Sauerstoffmangels vom gleichen Schicksal bedroht. Laut einem Bericht der
taz
vom 8. 11. 2008, der sich auf Rutger Rosenberg, Professor für Meeresökologie an der Universität Göteborg, bezog, haben sich die permanenten Todeszonen in der Ostsee seit den 60er Jahren alle zehn Jahre jeweils verdoppelt. Sie umfassen mit rund 70 000 Quadratkilometern ein Gebiet, das so groß ist wie ein Fünftel der Bundesrepublik. Damit wächst nicht nur die Gefahr giftiger Algenblüten, sondern es sind 30 bis 50% der tierischen Biomasse in der Ostsee in den letzten fünf Jahrzehnten verschwunden. Laut Rosenberg fehlen damit bis zu drei Millionen Tonnen Bodenlebewesen auf der Speisekarte der Fische. Diese Entwicklung ist dabei, auch alle Anstrengungen, über verminderte Fischereiquoten die Erholung der Kabeljaubestände zu verbessern, zunichtezumachen. In dem immer sauerstoffärmeren Wasser hätte der Ostseekabeljau keine Chance, sich zu reproduzieren: »Die Kabeljaueier können nicht überleben, und das droht die Bestände ganz auszulöschen.«
Die Wissenschaftler beziffern den jährlichen Stickstoffeintrag in die Ostsee mit 1,4 Millionen Tonnen, den von Phosphat mit 600 000 Tonnen. Wollte man diese Düngemittel per Lkw transportieren, müsste man auf der kompletten Strecke von Travemünde bis Palermo Lastwagen an Lastwagen reihen – und zusätzlich noch alle Parkplätze Siziliens füllen …! [70]
Ob Herr Röring und seine Freunde solche Folgen wohl mit einberechnet haben?
Leider sind damit noch nicht alle Einbahnstraßen aufgezählt, die durch die Düngung in einer Landwirtschaft beschritten werden, die mit hohem Input an Betriebsmitteln einen hohen Output an landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu erreichen versucht. Denn nicht nur die Toleranz der Ökosysteme, die von ihr geschädigt werden, ist endlich. Ebenso endlich ist auch eines der wichtigsten Düngemittel: jenes Phosphat, von dem die konventionelle Landwirtschaft auf Gedeih und Verderb abhängt. Auch der Ökologische Landbau benötigt es (wenn auch in deutlich geringerem Maße), weil auch seine Nährstoffkreisläufe nicht vollkommen geschlossen sind. Nur ein Fünftel des Phosphates, das für die Landwirtschaft aus der
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