FOOD CRASH
lagen, weil sich das Beizmittel Pro Poncho von Bayer, mit dem die Saatkörner vorsorglich gegen den Befall mit Maiswurzelbohrer benetzt worden waren, unerwartet als bienenschädlich erwiesen hat. Eigentlich hätte nämlich nichts passieren dürfen, weil die Körner ja in die Erde eingebracht werden. Aber durch den Staub beim Säen, durch wochenlange Trockenheit, durch Winde oder Tau, der auf offen liegenden Körnern den Wirkstoff Chlotianidin angenommen hatte – so ganz war das nicht nachzuvollziehen –, haben eben doch die Bienen etwas abbekommen. Trotz aller Tests und Zulassungsverfahren.
Dramatischer ist die länger zurückliegende Geschichte des Dichlordiphenyltrichlorethan, eines Insektizids, das unter seinem Kürzel DDT bekannt sein dürfte. Dieses segensreiche Mittel hatte geholfen, die Malaria zurückzudrängen und Wanzen im Haus zu bekämpfen. Auch auf den Äckern unserer Breiten hat es so manchem schädlichen Insekt den Garaus gemacht – und zwar so erfolgreich, dass Paul Hermann Müller, der die insektentötende Wirkung des Stoffes entdeckt hat, im Jahr 1948 dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Allerdings fanden Ornithologen schon in den 1950er Jahren heraus, dass die Aufnahme von DDT und seines Abbauproduktes DDE über eine Anreicherung in der Nahrungskette zu Problemen bei Wildvögeln führte. Besonders empfindlich reagierten vogel- und fischfressende Greifvögel wie der Seeadler. Ihre Vermehrung ging stark zurück, weil die Schalen ihrer Eier durch die Aufnahme von DDT und DDE so dünn waren, dass sie beim Bebrüten brachen. Schließlich stellte sich heraus, dass DDT nicht nur diese, sondern auch andere schädliche Einwirkungen für alle möglichen Lebewesen mit sich brachte und vor allem eine Eigenschaft aufwies: Es ist ungemein persistent. Seine Rückstände bauen sich einfach nicht ab. Bis heute finden sie sich weltweit, sogar im Fett der arktischen Pinguine.
Das Beispiel DDT beschreibt ein sehr grundsätzliches Problem. Denn so unbestreitbar sein Schaden ist, so unbestreitbar ist sein Nutzen. Die Tropenkrankheit Malaria – genauer gesagt, die den Erreger transportierenden Anopheles-Mücken – ist wieder auf dem Vormarsch, und nicht wenige halten die Rücksicht auf Greifvögeleier für nicht angebracht, wenn es doch um Menschenleben geht.
Aber wie wiegt man beides gegeneinander ab: die Biodiversität, die für das Überleben der Menschen morgen unabdingbar ist, gegen die Gesundheit der Menschen heute? Über diesen Konflikt darf nicht leichtfertig hinweggegangen werden. Doch es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Malaria sich ausbreitet, obwohl die Anwendung von DDT , das nach wie vor in Indien, China und vermutlich auch Nordkorea produziert wird, keineswegs beendet ist. Und dass es auch methodische Ansätze gibt, um Schadinsekten zu regulieren, die ohne den Einsatz von chemisch-synthetischen Bioziden auskommen. So bringt man in Kenia das
Bacillus thuringiensis var. israliensis
in Brutstätten von Moskitos aus. Der Erfolg mit dieser biologischen Bekämpfung des Malariaüberträgers ist groß – und zwar, ohne dass andere Tiere oder der Mensch dadurch geschädigt würden. [72]
Unlängst fand sich in meiner Post ein Werbebrief der Firma Syngenta. Es ging um ein neues Unkrautbekämpfungsmittel. Im Prospekt konnte man mit einem mitgelieferten Rotstift – wie in einem Kinderbuch – Linien von Punkt zu Punkt zeichnen. Woraus sich ein aufschlussreiches Bild ergeben sollte. Das habe ich nicht gemacht, weil ich ein Buch schreiben muss und deshalb für so etwas keine Zeit habe. Ich habe aber zweierlei behalten: erstens den sehr praktischen Rotstift. Und zweitens den Werbespruch: »Das braucht kein Mensch.« Gemeint waren die Unkräuter, die man mit der vielseitigen Chemikalie vom Acker putzen kann. Ein vielsagendes Missverständnis. Zwar gehöre auch ich zu den Menschen, die nicht immer die liebevolle Vokabel »Beikraut« verwenden (»Lass mich Beikraut im Garten deines Herzens sein«, sei die Liebeserklärung eines Ökobauern – ist mir mal erklärt worden). Wenn ich meinem Abnehmer Kamilleblüten zu liefern habe, dann dürfen da keine Mohnblüten druntergemischt sein. Auch wenn sie sich noch so lieblich auf dem weißen Acker ausnehmen. Dagegen kann auf meinem Getreidefeld gerne das ein oder andere mitwachsen, wenn es nicht überhandnimmt. Und auch wenn mir meine Kartoffeln »sauber« lieber wären, so bringt doch meine Wirtschaftsweise mit sich, dass auch noch Melde,
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