FOOD CRASH
Vogelmiere und Co. ihren Platz beanspruchen. Dass sie dann immer noch Unkraut sind, heißt aber nicht, dass sie unnütz wären. Die ganze Vielfalt an Insekten, Vögeln, Hasen und was sonst noch auf einen bunten Speiseplan angewiesen ist, kann sich eben nicht ernähren, wenn quadratkilometerweise nichts anderes als z.B. Maispflanzen wachsen.
Nicht weniger brisant als die Umweltwirkungen von Pestiziden ist ihr Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. Was die Anwender betrifft, so gibt es schon seit längerem Hinweise auf eine höhere Gefährdung für Landwirte, an Parkinson zu erkranken. [73] Im Dezember 2010 konnte man im britischen Fachjournal
Occupational and Environmental Medicine
(Arbeits- und Umweltmedizin) das Ergebnis einer über 13 Jahre dauernden Langzeitstudie des französischen Instituts für Volksgesundheit unter der Leitung von Isabelle Baldi von der Universität Bordeaux nachlesen. [74] Sie fand heraus, dass bei Personen, die in ihrer beruflichen Laufbahn mit Pestiziden zu tun hatten – und das trifft in Frankreich auf 800 000 Menschen zu –, ein deutlich höheres Risiko besteht, einen starken Rückgang ihres Gedächtnis- und Konzentrationsvermögens zu erleiden. Dies traf bei der Gruppe von Weinbergarbeitern aus Bordeaux zu, die am stärksten den Pestiziden ausgesetzt waren. Pestiziden, von denen wir annehmen dürfen, dass auch sie einer sorgfältigen Prüfung unterzogen wurden, ehe sie als unschädlich erkannt und zugelassen wurden.
Es ist sicherlich nicht weit hergeholt, wenn man vermutet, dass es um den Anwenderschutz in Entwicklungsländern eher etwas schlechter bestellt ist als in unserem großzügig mit Verordnungen versorgten Europa. Ein gemeinsames Papier der FAO und der Internationalen Arbeitsorganisation ( ILO ) beziffert die jährlichen Todesfälle durch Pestizidvergiftung weltweit auf 40 000 Personen und unterstellt eine erhebliche Dunkelziffer. [75]
Was die Wirkung von Pestizidrückständen in Wasser, Atemluft und Lebensmitteln betrifft, ist mit weniger eindeutigen Ergebnissen zu rechnen, weil der Nichtlandwirt auf diesem Weg mit erheblich geringeren Konzentrationen konfrontiert ist. Ich erinnere mich zwar daran, einmal gelesen zu haben, man habe im Blut von EU -Abgeordneten bei einem freiwilligen Test festgestellt, keiner von ihnen habe unter der Rückstandshöchstmenge gelegen, die man bei einem Schnitzel voraussetzt. Die Quelle kann ich aber nicht angeben. Eine dieser Abgeordneten, die Grünen-Politikerin Hiltrud Breyer, versorgte mich aber einmal mit einer langen Liste von Studien, die solche negativen Effekte für die menschliche Gesundheit aufführen. Dabei handelt es sich aber durchweg um Versuche aus dem Labor, so dass die Wirkung auf den »normalen« Verbraucher nur rückgeschlossen werden kann. Was die Einschätzung so schwer macht, ist das für eine statistische Untersuchung erforderliche Versuchsdesign. Um die Auswirkungen einer Pestizidexposition bei Konsumenten festzustellen, müsste man große Probandengruppen parallel mit pestizidbelasteten Lebensmitteln und andere mit unbelasteten Bioprodukten versorgen. Dabei wäre auch noch sicherzustellen, dass beide Gruppen das Gleiche zu essen bekämen und auch sonst völlig vergleichbar leben. Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus praktischen Gründen ist so etwas undurchführbar. Problematisch ist weiterhin, dass sehr wenig über die kombinierte Wirkung verschiedener Stoffe bekannt ist. Untersucht wird meist nur, welche Effekte
eine
Chemikalie hat. Das Zusammenwirken mehrerer verschiedener Pestizidrückstände kennt man ebenso wenig wie die Wirkung von Abbauprodukten, die in der Natur entstehen, wenn ein Wirkstoff zerfällt, reagiert oder verdaut wird. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass sich über die lebenslange Ansammlung von solchen Stoffen noch einmal eine andere Situation ergibt und dass wir auch noch aus anderen als landwirtschaftlichen Quellen mit Chemikalien konfrontiert werden.
Was wir aber sehr genau kennen, ist ein dramatischer Anstieg von Allergiekrankheiten und Unverträglichkeiten. Heute leiden über 30 % der erwachsenen Bevölkerung in England und den USA an Heuschnupfen, während diese Erkrankung dort noch vor 200 Jahren praktisch unbekannt war. Noch deutlicher ist der Trend bei Asthma – und zwar in allen Altersgruppen. Hier hat sich die Zahl der Erkrankungen innerhalb der letzten 20 Jahre mehr als verdoppelt, so dass Asthma heute die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter
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