FOOD CRASH
auch wir von Keimen heimgesucht, gegen die kein Medikament mehr Wirkung zeigt. Im April 2011 startete die WHO deshalb einen Aufruf an die Regierungen, für ein deutlich restriktiveres Umgehen mit dieser Medikamentengruppe zu sorgen. [81] Gefahrenquellen dafür sind die zu sorglose Verschreibung von Antibiotika durch Ärzte und die Rückstände von Antibiotika in der Umwelt, die durch das Entsorgen von Medikamenten und deren Ausscheidung nach der Einnahme entstehen.
Aber auch der immer noch intensive Einsatz von Antibiotika in der Tiermast gibt Anlass zu Besorgnis. Immerhin wird nach Angaben der WHO weltweit die Hälfte aller Antibiotika an Tiere verfüttert. Dass die Keime in der konventionellen Hühnerhaltung resistent werden, kommt deshalb nicht von ungefähr. So berichtete die
Süddeutsche Zeitung
im Oktober 2010 von steigenden Antibiotikamengen in der Geflügel-Massentierhaltung. Zitiert wird dort nicht nur das niedersächsische Landwirtschaftsministerium – die müssen das ja wissen –, das in zehn Jahren einen Anstieg der Antibiotika-Anwendungen in der Mastgeflügelhaltung von 1,7 auf 2,3 Behandlungen im kurzen Leben jeden Tieres konstatiert. Zu Wort kommt auch der ehemalige Leiter des Veterinäramtes in Cloppenburg, also dem Landkreis, der mit dem benachbarten Vechta die höchste Viehdichte Deutschlands aufweist. Er geht davon aus, dass die Tiere nicht selten zwei Drittel ihrer Lebenszeit mit Antibiotika behandelt werden. Die Ministeriumssprecherin gibt in dem Artikel eine einfache Erklärung: In der Massentierhaltung sei der Einsatz von Antibiotika die Regel. Ohne Einsatz der Mittel schafften es die Hühner in großen, besatzstarken Ställen häufig nicht, bis zum Ende ihrer Mastzeit zu überleben. Bei der Lektüre kam mir der Diskussionsbeitrag eines Landwirtschaftsstudenten nach einem Vortrag zum Ökolandbau in den Sinn: Es sei doch wohl besser, meinte er, wenn die Tiere Medikamente bekämen und darauf zufrieden und gesund im Stall lebten.
Dass die industrielle Tierhaltung die Voraussetzungen schafft, damit Tierseuchen wie Maul- und Klauenseuche, Vogelgrippe und andere ihre volle Wucht und damit gewaltigen volkswirtschaftlichen Schaden entfalten können, sei hier der Vollständigkeit halber noch hinzugefügt.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Tierschutz. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, Tierschutz sei ein Luxus, den sich Länder leisten könnten, in denen es genug zu essen gibt. Tatsächlich ist es wohl nicht falsch, zu behaupten, dass in vielen Kulturen Tierschutz kein Konzept ist, mit dem die Menschen etwas anfangen können. Sowohl die zwischen Kühlergrill und Stoßstange kopfüber auf den Lastwagen geschnallte Ziege in Haiti als auch der lebendige Fisch, dem vom Schwanz her die vom jeweiligen Kunden erbetene Portion abgeschnitten wurde – ich habe das auf einem Markt in Shanghai gesehen –, sind grausame Beispiele dafür. Trotzdem meine ich, dass wir unsere eigenen Wertvorstellungen an einem Agrarsystem abprüfen müssen, das wir der Welt als Lösung verordnen wollen. Denn wenn wir Tiere als Mitgeschöpfe betrachten, die unserer Verantwortung anvertraut sind, dann kann ich die sich daraus ergebenden ethischen Konsequenzen nicht relativ zum jeweiligen Standort diskutieren.
Der Grundsatz der Tierhaltung im Ökologischen Landbau ist, so weit als technisch und wirtschaftlich möglich, den Tieren ihr artgemäßes Verhalten zu ermöglichen. Diese Formulierung macht bereits deutlich, dass es dabei um Kompromisse geht, denen auch ein gewisses Maß an Willkür zugrunde liegt. Denn wirklich artgemäß leben das Wildschwein im Wald und der Fasan im Busch. Beim Huhn und Hausschwein geht es um Annäherung. Bestimmte Prinzipien sind aber dennoch klar festzulegen: Die Tiere müssen mit dem natürlichen Wechsel von hell und dunkel, von warm und kalt konfrontiert sein. Ein Schwein muss wühlen und ein Huhn scharren können. Ein Rind muss seine Zunge zum Abrupfen des Grases verwenden können – wenigstens in der Jahreszeit, in der dieses wächst, und vieles mehr. Von all diesen Kriterien ist in der modernen Massentierhaltung kaum eines erfüllt. Wie soll das auch möglich sein, wenn Mastbullen sich in ihrer mit einem Vollspaltenboden versehenen Bucht kaum noch bewegen können? Wenn Muttersauen zwischen Stangen fixiert auf das Ferkeln und danach auf das Saugen des Nachwuchses warten? Oder wenn Hühner mit einem künstlichen Lichtprogramm so gesteuert werden, dass die Eier zum richtigen
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