FOOD CRASH
Befriedigung von Sensationslust von Bedeutung ist. Dazwischen fanden sich aber auch brisante Happen, die einen Eindruck davon verschafften, wie die Geschicke der Welt nicht nur mit den Methoden gelenkt werden, die wir im
heute-journal
zu sehen bekommen.
So konnte man dort von den gemeinsamen Anstrengungen spanischer Politiker und US -amerikanischer Diplomaten lesen, der zunehmenden Gentechnik-Unlust der Europäer entgegenzuwirken. Auch die Versuche, den Vatikan dazu zu bringen, den gentechnikkritischen Ortskirchen die Leviten zu lesen, sind auf diese Weise dokumentiert. Hier allerdings war die Enthüllung durch
WikiLeaks
gar nicht mehr erforderlich. Schon im Mai 2009 hatten an Gentechnik interessierte Wissenschaftler und Konzerne versucht, die weltgrößte Glaubensgemeinschaft für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. In der »Päpstlichen Akademie der Wissenschaften« veranstalteten sie eine Studienwoche zum Thema »Transgene Pflanzen für die Nahrungsmittelsicherheit im Entwicklungszusammenhang«. Dort traten ausschließlich Befürworter des Einsatzes dieser Technologie auf, einschließlich Vertretern der Unternehmen Monsanto, Syngenta und diverser Lobbyorganisationen. Gänzlich abwesend waren nicht nur Gentechnikkritiker, sondern auch Experten von Entwicklungshilfeorganisationen. Dem Tagungsprogramm vorangestellt war eine Art Grußbotschaft des Papstes samt Bild, aus der man entnehmen konnte, auch er unterstütze das Anliegen der Tagung. In der Einladung wurde das so dargestellt: Die Gegnerschaft zur Agro-Gentechnik sei ideologisch motiviert (»Opposition to biotechnology in agriculture is usually ideological«). Es gehe deshalb bei der Studienwoche darum, die Hürden übertriebener Vorsorge zu überwinden, um zu mehr wissenschaftlicher Einschätzung zu gelangen (»Food for the poor will be lost if GMO -regulation is not changed from being driven by ›extreme precaution‹ principles to being driven by ›science-based‹ principles«). Was unerwähnt blieb: Das Papstwort war keineswegs auf diese Studienwoche und die Gentechnik gemünzt und entstammte einem völlig anderen Zusammenhang. Und die Päpstliche Akademie der Wissenschaften ist auch nicht der Vatikan, sondern eine Institution, die explizit als unabhängig vom Heiligen Stuhl gegründet wurde. Das alles hinderte Teilnehmer der Veranstaltung nicht, im November 2010 erneut Pressemitteilungen zu verbreiten, auch der Vatikan befürworte den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft. Anlass war das Scheitern des Landes Sachsen-Anhalt mit seiner Klage gegen das deutsche Gentechnikgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht. Glücklicherweise nahm in diesem Fall der Vatikan selbst Stellung und distanzierte sich von diesen Behauptungen.
Warum bemühen sich eine Branche und ihre wissenschaftlichen Zuarbeiter, ausgerechnet die Institution Vatikan als Kronzeugen aufzubauen, die selbst von vielen Katholiken nicht mehr als letzte Instanz – zumindest in weltlichen Fragen – akzeptiert wird? Die Antwort liegt auf der Hand und ist aus dem Inhalt der Tagungseinladung abzulesen. Das wichtigste, sozusagen unwiderlegbare Argument für die Agro-Gentechnik ist ihr vorgeblicher Nutzen für die Ernährung der Welt, für »food for the poor« (Essen für die Armen). Es schlägt alle sonstigen Bedenken und entlarvt diese als Luxusprobleme, vorgebracht von Menschen, die genug zu essen hätten. Das wird nicht nur von Monsanto-Vertretern auf Podiumsdiskussionen so dargestellt, es begegnet mir in den meisten Gesprächen, die ich über unser Thema führe. Und weil es für die Akzeptanz der Gentechnik so wichtig ist, muss jemand dieses Argument stützen, ein Jemand, dem alle Welt Kompetenz zubilligt, wenn es um die Fürsorge für Arme und Hungernde und um das Eintreten für die Rechte der Länder des Südens geht.
Und aus dem gleichen Grund muss auch ich dieser Technologie einen eigenen Abschnitt in diesem Kapitel widmen, obwohl ich durchaus nicht vorhabe, ein Buch über Gentechnik zu schreiben. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich nicht alle Aspekte anspreche, die eine umfangreiche Abhandlung zu diesem Thema ausleuchten müsste. Ich will mich stattdessen auf das beschränken, was unmittelbaren Bezug zu unserer Fragestellung hat: Kann Agro-Gentechnik einen wichtigen – oder gar unabdingbaren – Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten?
Um möglicher Verwirrung vorzubeugen, zunächst eine kleine Begriffsbestimmung: Mir geht es nicht in Bausch und Bogen um das ganze weite
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