FOOD CRASH
Zeitpunkt aufs Band rollen? Wenn Schweine, die so geruchsempfindlich sind, dass sie – wenn es ihnen der Platz erlaubt – nie dort koten, wo sie liegen, wenn also diese, entgegen ihrem schlechten Ruf, durchaus manierlichen Tiere gezwungen sind, ihr Leben auf einem durchlöcherten Boden zu fristen, unter dem ihre Exkremente schwimmen?
Hühner sehen nicht gut. Aber sie verfügen über ein Tastorgan, mit dem sie das wettmachen. Sie erkunden damit, welches Futter sich für sie eignet und was vor ihnen auf dem Boden oder unter seiner Oberfläche zu finden ist. Dieses Organ ist ihre Schnabelspitze. Sie ist spitz und scharf, und weil sie sich damit auch gegenseitig traktieren können, muss ihnen dieses Tastorgan überall, wo zu wenig Platz ist, um sich ausweichen zu können, abgeschliffen werden. Oder abgebrannt. Beides sind grausame Vorgänge, die in Deutschland jedes Jahr an über 110 Millionen Tieren vollzogen werden. Nur 5,2 Millionen Ökohühner entkommen dieser Tortur, weil sie in einem weniger dicht besetzten Ökostall zu Hause sind.
Ein ähnlich düsteres Kapitel ist die Putenmast. Kein anderes Fleisch wird von Ernährungsphysiologen so empfohlen wie das der Truthühner, die einst Kolumbus in der Neuen Welt antraf. In Deutschland werden im Jahr zwischen 30 und 36 Millionen Puten gemästet. 96 % der Tiere werden in Betrieben mit über 5000 Tieren gehalten, fast 85 % in Betrieben mit über 10 000 Tieren. Zwei Weltunternehmen teilen sich den Markt, der die Mäster mit Jungtieren beliefert. Dieses Monopol ist leicht zu halten, weil die Tiere sich ohnehin nicht mehr natürlich vermehren könnten. Dazu sind sie physiologisch nicht in der Lage, zu riesig ist ihr Brustmuskel – also der Teil, der in Streifen auf dem Salat endet. Die
Qualzucht,
die dazu führte, ist eine Erfolgsgeschichte. Die in Deutschland am häufigsten gemästete Rasse »B. U. T. Big 6« erreichte 1981 ein Mastendgewicht von knapp 13 kg; 1996 lag es bei fast 16 kg. Heute erreichen Putenhähne ein Mastendgewicht von bis zu 22 kg. Die »Brustfleischausbeute« liegt bei Putenhähnen bei fast 40 % des Schlachtkörpers. Gleichzeitig stieg die Besatzdichte, von der Wissenschaftler meinen, sie sei den Tieren in den Ställen zuzumuten, von 20 kg/m² im Jahr 1969 auf heute 50 kg/m². [82] Angesichts des Leidens dieser Tiere, deren Skelettentwicklung mit der ihres nutzbaren Fleisches nicht Schritt gehalten hat, ist es nur noch ein kleiner Zusatz, dass man auch den Puten die Schnäbel kürzt, damit die Massentierhaltung – die bekanntlich kein Systemproblem kennt – funktioniert. Fatalerweise gibt es auch Ökobetriebe, die diese Rasse halten – wenn auch in tiergerechteren Haltungsverfahren.
Die Monatszeitschrift
top agrar,
das wohl meistgelesene landwirtschaftliche Fachmagazin Deutschlands, hat seine Dezemberausgabe 2010 dem Thema der boomenden Massentierhaltung im Nordwesten Deutschlands gewidmet und die Frage »Wie viel Wachstum geht noch?« gestellt. Nichts zeigt besser, in welchem Irrsinn dieses nach Meinung des Ministers Lindemann so unproblematische System steckt, als die Abfolge der Artikel in diesem Heft. Da wird zunächst in schonungsloser Deutlichkeit aufgezeigt, mit welchen Problemen die Landstriche konfrontiert sind, in denen sich die »Veredelung« tierischer Produkte konzentriert hat, weil dort die Häfen liegen, über die billiges Futter aus Übersee kostengünstig in die Fütterungsautomaten gelangen kann. Die Rede ist von unerträglicher Geruchsbelastung und von nicht mehr beherrschbaren Nährstoffkonzentrationen, weil die Tiere viel mehr ausscheiden, als auf den Ackerböden der Region als Dünger unterzubringen ist. (In einer Veranstaltung in Berlin hat uns der Landrat des Kreises Emsland neulich berichtet, sein Kreis brauche zusätzliche 40 000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche in anderen Landkreisen – um dort die Exkremente der viel zu vielen Tiere unterzubringen!) Im
top agrar
-Artikel werden dann die Konflikte mit der nicht landwirtschaftlichen Bevölkerung geschildert, die sich nicht mehr damit abfinden will, wie eines der »Baufenster« nach dem anderen mit neuen Ställen zugebaut wird, weil die Bauern in ihrer Angst, es könne bald nichts mehr gehen, die Bauämter mit neuen Anträgen zuschütten. Insgesamt 20 Millionen Masthähnchenplätze gibt es im Weser-Ems-Gebiet, weitere 10 Millionen seien beantragt. 8,5 Millionen Schweine stehen auf den Spaltenböden der rund 7500 Bauern der
Weitere Kostenlose Bücher