FOOD CRASH
Feld der Biotechnologie. Auch nicht um alle ihre Anwendungen, wie die »Rote« oder Medizinische Gentechnik oder die »Weiße« Gentechnik, die die Herstellung von Enzymen und anderen Hilfsstoffen beinhaltet. Mir geht es ausschließlich um die »Grüne« oder – präziser formuliert – Agro-Gentechnik: Das ist die gentechnische Veränderung von lebenden und vermehrungsfähigen Organismen, die in die freie Natur ausgebracht werden. Damit ist auch das Kernproblem der Technologie angesprochen: Die aus ihr entstehenden künstlich veränderten Organismen [84] werden freigesetzt. Einmal in ein Ökosystem entlassen, können sie von dort nicht mehr zurückgeholt werden. Durch natürliche Mechanismen wie beispielsweise Auskreuzung innerhalb derselben oder in verwandten Arten können sie sich sogar noch ausbreiten. Es ist unmöglich, natürlich entstandene Organismen daran zu hindern, solche künstlich in eine Art eingebrachten Gene in das eigene Erbgut aufzunehmen. Selbst wenn – was ihre Befürworter behaupten – die Gentechnik nicht mehr Risiken aufweisen würde als jede andere neue Technologie, so liegt in diesen Mechanismen ein Zusatzrisiko, das sie von nahezu allen anderen Technologie-Risiken unterscheidet.
Die Forderung, mit der Agro-Gentechnik lieber zu restriktiv als zu leichtfertig umzugehen, ist deshalb nicht ideologisch (was immer das heißen mag), sondern von Vernunft motiviert und entspricht dem Prinzip der Verantwortung. Ich beziehe mich hier auf den Philosophen Hans Jonas, der die Forderung aufgestellt hat, der Mensch müsse angesichts seiner enorm gewachsenen technologischen Fähigkeiten die Unversehrtheit seiner Welt vor den Übergriffen seiner eigenen Macht bewahren. Die Gefahr in Technologien wie der Biotechnologie sieht er darin, dass sie »weder geduldig noch langsam« vorgeht, sondern »die vielen winzigen Schritte der natürlichen Entwicklung in wenige kolossale zusammen[drängt]« und sich somit »des lebenssichernden Vorteils der tastenden Natur [begibt]«. [85]
Aber nicht nur Philosophen, sondern auch Naturwissenschaftler warnen vor Risiken der Agro-Gentechnik. Zwar werden nicht selten vorschnell Hiobsbotschaften zur Gentechnik aus dem Internet gefischt, als wissenschaftlich erwiesen angesehen und ins Netz zurück multipliziert. Die Anzahl von Studien seriöser Institute reicht aber auch ohne solche unseriösen Quellen aus, um die Position zu entkräften, es gäbe
keine
Risiken, die für die Agro-Gentechnik spezifisch sind. [86]
Diese Tatsachen vorausgeschickt, ist es trotzdem von Interesse, zu wissen, ob die Gentechnik außer den Risiken wenigstens Chancen bietet. Und ob diese Chancen so groß sind, dass sie es rechtfertigen würden, solche Risiken einzugehen – wobei ich auch zu dieser Überlegung noch einmal die Quintessenz des dritten Kapitels anführen muss: dass nämlich der Schlüssel zur Beseitigung des Hungers in der Welt nicht in der Produktivitätssteigerung liegt.
Im Februar 2011 legten vier renommierte deutsche Agrar- und Ernährungswissenschaftler ein Papier vor, das mit der Broschüre der
Deutschen Forschungsgesellschaft
( DFG ) mit dem Titel »Grüne Gentechnik« scharf ins Gericht geht. Sie war von der Dachorganisation der deutschen Wissenschaft im Dezember 2009 publiziert worden. Die Professoren, die sich im Übrigen als sehr aufgeschlossen gegenüber den Potenzialen der Gentechnik zu erkennen geben, kritisieren, in der Broschüre sei das Potenzial der Gentechnik aus ideologischen Gründen überbewertet worden. »Darüber hinaus muss grundsätzlich der potentielle Beitrag der GGT [Grüne Gentechnik] als biologisch-technischer Fortschritt zu zentralen Problemen der Welternährung wie auch des globalen Umweltschutzes im adäquaten Kontext diskutiert werden. So ist es unstrittig, dass Welternährungsprobleme wie auch globale Umweltprobleme in erster Linie auf unvollkommene institutionelle Rahmenbedingungen zurückzuführen sind, die sich als Verteilungs- bzw. Anreizprobleme manifestieren und somit im Kern keine technologischen Probleme darstellen.
Entsprechend gering ist auch der potentielle Beitrag, der von biologisch-technischem Fortschritt wie
GGT
zur tatsächlichen Lösung dieser zentralen Probleme zu erwarten ist.
« [Hervorhebung durch den Autor] [87]
Olaf Christen, Professor für Allgemeinen Pflanzenbau an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, erklärte dem Plenum in einer Diskussionsrunde im Herbst 2009, dass zur Lösung des Welternährungsproblems die
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