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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Schulter und entschwand dann in Richtung Tanzfläche.
    George unterhielt sich fünf Minuten lang mit der Bloody Mary; er hatte gerade den letzten Tropfen ausgetrunken, als alles Leben in der Taverne abrupt erstarb. Es war ein seltsamer, nachträglich nur schwer in all seinen Einzelheiten zu vergegenwärtigender Augenblick. So sind wahrhaft magische Ereignisse beschaffen: es sind trunkene, unzusammenhängende Zeitsplitter, die nie als klare Erinnerung überdauern können.
    Just ein paar Sekunden vorher war Marley Rostfrei mit einem Stift in der einen und einem ›Ritter der weißen Rosen‹ in der anderen Hand zum Ende der Theke gekommen.
    »He, George«, hatte Rostfrei gesagt, »du mußt mir einen Gefallen tun. Ich hab doch so ne Lady, drüben in Dryden, und die will mir einfach nicht glauben -«
    Die Eingangstür der Taverne ging lautlos auf, und zwar dermaßen lautlos, daß jedes andere Geräusch im Schankraum übertönt wurde. Rostfreis Rede verstummte wie abgesägt; Benny Profane stellte sein Gebrüll, er sei so einsam, daß er sterben könnte, schlagartig ein; Woodstock, der gerade eine besonders abschließende Bemerkung hatte loslassen wollen, blieb selbige im Hals stecken. Ähnlich unvermittelt endigte - selbst im Billardzimmer - jede Unterhaltung, und alle Augen, alle Blicke richteten sich auf einen Punkt.
    Mehr einer Vision als einem Menschen ähnlich, erschien Kalliope in der offenen Tür. Sie war in ein durchscheinendes weißes Gewand gehüllt, das aus einem Traumgespinst hätte gewoben sein können, und eine Brise spielte in ihrem langen Haar und hielt es so, daß es das Licht in vollkommener Weise auffing und wie lebendig aussah. Ihre Lippen waren ganz genauso, wie Lippen sein sollten; ihre Haut schimmerte. In diesem Augenblick hätte das Wort »schön« nicht ausgereicht, um sie zu beschreiben.
    »Jesus«, flüsterte Woodstock. »Schaut sie euch an.«
    Einzig Löwenherz widerstand der Versuchung; seine Lippen waren fest auf Myokos Mund gepreßt, und er klammerte sich an sie, als ginge es um sein Leben. Die übrigen Männer und Frauen im Fiebertraum ergaben sich kampflos; Marley Rostfrei hatte weiche Knie, und Ragnarök und Fujiko mußten sich auf der Schwelle zum Billardzimmer aneinanderlehnen, um nicht umzukippen.
    »George...«, hauchte Rostfrei. Denn die Vision hatte ihrerseits den Blick auf jemanden geheftet. Eine makellos geformte Hand ließ die Klinke los, und die Tür fiel butterweich ins Schloß; dann begann Kalliope, durch den Raum zu gleiten, schlängelte sich an den Tischen vorbei, an denen Statuen von Zechern wie festgefroren saßen und nicht wagten, sie anzurühren. Und als schließlich kein Zweifel mehr daran bestand, daß sie ihn meinte, stieg George vom Barhocker, um sie zu empfangen, und begriff endlich, worauf er die ganze Zeit gewartet hatte.
    Sie kam näher und näher. George streckte eine Hand nach ihr aus und fragte sich, ob sie ihn jemals erreichen würde, fragte sich, ob sie wirklich oder ein bloßes Phantom war und ihm wie Rauch zwischen den Fingern zerrinnen würde. Doch sie erreichte ihn, Finger aus Fleisch und Knochen umfaßten seine Hand, sie kam noch näher, und als er sich vorbeugte, um sie zu küssen, erschien alles völlig natürlich, völlig normal, ganz wundervoll. Er versank unrettbar in ihrem Zauber, und als ihre Lippen sich berührten und alle Lichter in der Taverne gleichzeitig erloschen, erschien auch das ganz natürlich, als sei es eben nur eine weitere Regieanweisung in einem Drehbuch, das speziell für diesen Augenblick verfaßt worden war.
    »Verdammte Kacke!« rief Z. Z. Top, als er plötzlich aus seinem Stupor erwachte und glaubte, erblindet zu sein. »Was zum Teufel geht hier vor?!«
    Für George schien sich dieser eine Kuß im Dunkeln über Minuten, Stunden, Tage hinzuziehen: eine unbestimmte Zeit im Paradies. Als Kalliope schließlich den Kopf zurückzog, flüsterte sie ihm drei Worte zu: das Versprechen, daß mehr folgen sollte. Ehe das Licht wieder anging, löste sie sich irgendwie aus seiner Umarmung und verschwand. Auch diesbezüglich rätselte George später, wie es genau passiert war- es war so unvergeßlich und zugleich so schwierig, sich daran zu erinnern; aber vielleicht war sie schlicht in seinen Armen verdunstet, einfach weggeschmolzen. Wenngleich das natürlich unmöglich war.
    »Verdammte Kacke!« rief der Top indes noch einmal. »Verdammte Kacke!«
     
    Kling, Klang, Klonimus
     
    I
     
    Einer der bekanntesten Mythen über Cornell und andere

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