For the Win - Roman
Auslöschung. Die Polizisten hatten den vorgeschriebenen kurzen Bürstenhaarschnitt, trugen identische blaue Uniformen, Mundschutz und Kevlarhandschuhe. Schließlich kam einer von ihnen der Webcam immer näher, entdeckte sie – ein kleiner Stecknadelkopf mit selbstklebender Rückseite in einer staubigen Ecke – und nahm sie ab. Sein Gesicht ragte kurz direkt ins Bild, sodass man die Poren seiner Haut, ein einzelnes Nasenhaar und seine leblosen Raubtieraugen sehen konnte. Dann gab es eine Bildstörung, und danach nichts mehr.
»Wahrscheinlich ist er draufgetreten«, meinte der Mächtige Krang. »So viel zu den Webcams. Nächstes Mal werden sie danach als Erstes suchen. Hat euch diesmal aber den Hintern gerettet, oder?«
Lu war in Gedanken noch bei seinen Sachen, seinen Klamotten, seinen Comics, der Packung Energy-Kaugummis, die er sich gestern gekauft hatte: All das war nun in den Eingeweiden des unerbittlichen, autoritären Staates verschwunden. Dasselbe hätte auch ihm passieren können.
»Wir ziehen jetzt ins nächste Versteck um«, sagte er. »Wir finden schon was, von wo wir heute Nacht senden können.«
»Worauf du Gift nehmen kannst«, zischte Jie.
Auf dem Weg zur U-Bahn schlugen sie einen weiten Bogen um die alte Wohnung und zwangen sich dazu, nicht jedes Mal zusammenzucken, wenn sie eine Polizeisirene hörten. Als sie wieder aus der U-Bahn kamen, griff Jie nach Lus Hand und flüsterte: »Okay, Tank, was machen wir jetzt?«
Er zuckte die Schultern. »Ich weiß auch nicht. Das war ganz schön … knapp.« Er schluckte. »Kann ich was sagen, ohne dass du wütend auf mich wirst?«
Sie drückte seine Hand. »Sag schon.«
»Du musst das nicht machen«, sagte er. Sie blieb stehen und schaute ihn an, ihr Gesicht ganz weiß. Bevor sie sich das erste Mal geküsst hatten, hatte er immer eine Leere zwischen ihnen gespürt, ein unsichtbares Kraftfeld, das er immer erst beiseiteschieben musste, ehe er mit ihr über seine Gefühle reden konnte. Seit sie zusammen waren, war das Kraftfeld schwächer geworden, aber nicht ganz verschwunden, und jedes Mal, wenn er was Dummes sagte oder tat, spürte er, wie dieses Kraftfeld ihn wegstieß. Jetzt war es wieder da. Er redete schnell und hoffte, dass seine Worte irgendwie zu ihr durchdrangen.
»Ich meine, das ist doch verrückt. Wahrscheinlich landen wir alle im Gefängnis oder zahlen mit unserem Leben.« Sie starrte ihn immer noch an. »Du bist einfach … « Er schluckte. »Du bist wirklich gut , das will ich damit sagen. Du könntest deine Show wahrscheinlich noch zehn Jahre lang machen, ohne je geschnappt zu werden, und dich dann als reiche Frau zur Ruhe setzen. Du solltest das nicht einfach wegwerfen.«
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Hab ich gerade versprochen, nicht wütend zu werden?«
Er grinste unbeholfen. »Irgendwie schon, oder?«
Sie sah sich kurz um. »Lass uns weitergehen«, sagte sie. »So fallen wir nur auf.« Sie liefen eine Weile. Ihre Finger lagen schlaff in seiner Hand, und schließlich entzog sie sie ihm. Das Kraftfeld gewann wieder an Stärke. Er hatte jetzt mehr Angst als bei Krangs Beschreibung dessen, was im Studio vorgefallen war.
»Du glaubst, ich tue das alles für Geld? Ich könnte noch viel mehr verdienen, wenn ich wollte. Ich könnte schmutzige Werbung senden. Ich könnte von meinen Hörerinnen verlangen, dass sie mir Geld schicken – Millionen von Mädchen! Wenn mir jede von denen bloß ein paar Yuan schicken würde, wär ich so reich, dass ich mich sofort zur Ruhe setzen könnte.«
Sie bogen in eine der engen, schattigen Gassen des kantonesischen Viertels, und sie schwieg einen Moment, weil die Gasse so schmal war, dass sie nur hintereinander gehen konnten. Dann schloss sie wieder zu ihm auf und sagte so leise, dass es beinahe ein Flüstern war: »Ich könnte einfach eine weitere dreckige Betrügerin sein, die nach Südchina kommt, einsackt, was sie kann, und dann zurück nach Hause aufs Land geht. Das mache ich aber nicht. Und weißt du, warum?«
Er suchte nach Worten, aber sie packte seine Hand und grub ihre Fingernägel hinein. Er verstummte.
»Das war eine rhetorische Frage! Ich tue, was ich tue, weil ich daran glaube . Ich habe meinen Mädchen schon gepredigt, dass sie sich gegen ihre Bosse wehren müssen, bevor du auch nur dein erstes Spiel gespielt hast. Ob mit dir oder ohne dich, ich werde ihnen sagen, dass sie kämpfen müssen. Ich mag deine Freunde, und mir imponiert auch, wie leicht sie Grenzen überwinden
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