Forellenquintett
Antibiotikum mit, davon sollten Sie zweimal täglich eine Tablette nehmen.« Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und beschriftete einen Zettel, den er auf die Schachtel klebte. »Dass ich über Ihren Besuch nicht erfreut bin, brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Übrigens weiß ich, wer Sie sind, und natürlich weiß ich auch, dass Sie und Frau Ruoff, die ich nie wieder hier sehen möchte, von der Polizei gesucht werden. Nun habe ich Ihnen keine Ratschläge zu erteilen, aber ich empfehle Ihnen trotzdem dringend, sich der Polizei zu stellen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte Tamar und stand auf, ehe ihr Marlen dabei helfen konnte. Ein wenig schwankte sie dabei.
»Und noch etwas.« Hauerz hatte ihr zugesehen. »Strikte Bettruhe. Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich und meine Familie wieder verlassen würden.«
»Sofort«, antwortete Marlen, die Hand in ihrer Jackentasche, und ging zu seinem Schreibtisch. »Sie haben ein Handy?«
»Ja … warum?«, fragte Hauerz und griff tastend in seine Hosentasche.
»Geben Sie es mir.«
»Wie käme ich dazu?«
Marlen zog die Hand aus der Jackentasche und zeigte ihm die kleine schwarze Pistole.
»Ach so«, sagte Hauerz. »So machen Sie das. Sie nennen sich eine Polizistin?« Er zog das Handy aus seiner Hosentasche und legte es auf den Schreibtisch. Marlen - in der rechten Hand die Pistole - steckte es ein. Dann nahm sie die Schere, mit der der Arzt den Verband zugeschnitten hatte.
»Und wozu das?«
»Eine kleine Sicherheitsvorkehrung«, antwortete Marlen und sah sich das Telefon auf dem Schreibtisch an. »Das ist nur ein Zweitanschluss, nicht wahr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie - die Schere in der Hand - in das Vorzimmer, in dem sich zugleich die Anmeldung für die Praxis befand. Tamar und der Arzt folgten ihr. Marlen trat hinter den Tresen, an dem sich die Patienten anzumelden hatten, und trennte die Kabel für die Telefonzentrale durch. »Der Kundendienst hat das in zehn Minuten wieder angeschlossen«, teilte sie mit, als sie hinter dem Tresen hervorkam.
»Sie sind sehr freundlich«, sagte Dr. Hauerz. Noch immer sprach er sehr beherrscht. Aber sein Kopf begann sich zu röten. »Äußerst freundlich sogar und entgegenkommend.«
»Danke«, antwortete Marlen. »Noch etwas. Sie werden auch nicht zu Ihren Nachbarn gehen und dort telefonieren. Sie und Ihre Schwiegermutter werden heute Abend hier im Haus bleiben. Aber Ihre Frau nicht. Sie wird uns begleiten.«
Hauerz starrte sie an, in wortloser Empörung.
»Morgen«, sagte Tamar, »ist sie wieder bei Ihnen.« Mit der linken Hand wies sie auffordernd auf seine Wohnungstür. Er öffnete, und seine Tochter Undine hüpfte ihm über den Korridor entgegen.
»Papi, der fremde Mann macht ein lustiges Spiel mit Oma. Sie darf kein einziges Wort sagen!«
K riminalhauptkommissar Norbert Walliser tastete sich zu seinem Schreibtisch zurück, suchte und fand seinen orthopädischen Drehstuhl und ließ sich vorsichtig hineinsinken. Dein Tag ist das auch nicht, dachte er, während er darauf wartete, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Mit der Hand suchte er nach dem Telefon und griff sich den Hörer, aber die Leitung war tot.
Er schüttelte den Kopf. Ein lächerlicher Tauchsieder, ein Ding, das man mit auf die Reise nahm, um sich im Hotel oder sonstwo einen Becher Wasser heiß zu machen: und das legt eine komplette, neu erbaute, mit allem technischen Schnickschnack ausgestattete Polizeidirektion lahm, macht sie blind, taub und tot, was der Landesbaudirektion dazu nun wieder für Ausreden einfallen würden! Er zog die Schreibtischschublade auf, nach einigem Suchen fand er eine Taschenlampe, vermutlich war die Batterie leer, aber dann ging die Lampe doch an und ließ einen kümmerlichen Lichtstrahl quer durch das Büro irren. Walliser stand auf und ging zur Tür und weiter in den Korridor hinaus, den Lichtstrahl auf den Boden gerichtet, um sicher an Drucker und Kaffeeautomaten vorbei den Weg zur Wache zu finden. Kurz vor dem Treppenhaus tauchte ein anderer Lichtschein auf, der einer stärkeren Lampe. Der fremde Lichtkegel erfasste und blendete ihn.
»Walliser!«, sagte eine Stimme. »Was tapern Sie so spät noch durch Nacht und Wind?«
»Ich will zur Wache«, antwortete Walliser. »Nachsehen, was eigentlich los ist.«
»Ein Blackout ist los, Meister«, sagte die Stimme, die Walliser jetzt als die des Polizeidirektors erkannte. »Und wenn Sie zur Wache gefunden haben, was
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