Forgotten
Eltern machen sich Sorgen.« Damit marschiert sie aus dem Zimmer in die Küche. Ich weiß, dass sie das nur macht, damit ich mich ungestört von ihm verabschieden kann.
Ich bringe ihn zur Tür. Bevor er geht, sieht er mich fragend an.
»Was sollte das denn eben?«, will er wissen.
»Es tut mir leid«, sage ich, weil es stimmt. »Ich hab einfach kein Wort herausgekriegt. Ich hab so was noch nie gemacht«, füge ich hinzu und bin mir ziemlich sicher, dass das der Wahrheit entspricht.
»Glaubst du etwa, ich? Für wie verdorben hältst du mich? Meine Eltern werden mich umbringen.«
»Es tut mir wirklich so leid«, sage ich noch mal und mache einen Schritt auf ihn zu. Er nimmt meine Hand und funkelt mich durch seine dichten Wimpern hindurch an. Prompt überschlägt sich mein Herz.
»War es das denn wenigstens wert?«, fragt er.
»O ja«, sage ich und sehe zu ihm auf. Einfach nur hier zu stehen und die Hand dieses atemberaubenden Wesens halten zu dürfen ist jeden Ärger der Welt wert. »Für dich auch?«
»Auf jeden Fall«, sagt er und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er beugt sich zu mir herab und streift meine Lippen ganz sacht mit seinen, bevor er mir ins Ohr flüstert: »Bis bald, Promqueen.«
19
Zwei Uhr neununddreißig.
Mein Herz hämmert. Mein Schlafanzug ist durchgeschwitzt, und ich kippe das Glas Wasser von meinem Nachttisch in einem Zug hinunter.
Langsam verstehe ich gar nichts mehr.
Ich knipse die Lampe an, schnappe mir einen Kugelschreiber, und am Ende einer sehr, sehr ausführlichen Notiz über schöne Fremdlinge in Vans, tobende Mütter und meinen Herzkasper am Morgen füge ich folgenden kurzen Satz an:
Es ist nicht Dad!
Dann zwinge ich mich dazu, wieder einzuschlafen. Wundersamerweise klappt es.
20
30. 01. (So)
Klamotten:
– helle Levi’s
– rotes Sweatshirt
Schule:
– Roman für Englisch nicht vergessen!
– Übungen für Spanischtest wdh.
– Buch mit Übungen für die College-Aufnahmeprüfung kaufen
Wichtiges:
Jamie. Redet immer noch nicht mit mir. Plan: Sie fragen, ob sie mir hilft, Dad ausfindig zu machen (s. frühere Aufzeichnungen und gr. Umschlag in Schreibtischschublade). Muss nachdenken, wie ich sie dazu bringen kann, diese verdammte Affäre zu beenden!!
Mom. S. oben erwähnter Umschlag
Luke. MEIN FREUND! KNUSPRIG, CREMIG, LECKER! Kommt heute Morgen mit Kaffee vorbei, muss also kein Frühstück machen. Seit dreieinhalb Monaten zusammen. Extrem guter Küsser. Aufzeichnungen durchgehen und Fotos im Zimmer ansehen. S. Zettel vom Sa über eine Party bei seinem Freund Adam. Heute waren wir in Elephant Bride - ziemlich alberner Film, aber wir haben trotzdem viel Spaß gehabt. Vor dem Kino haben wir auf seiner Konsole gespielt, und ich hab ihn geschlagen! (Ich war der Rote Krieger.)
Während des Films die ganze Zeit Händchen gehalten und Popcorn gegessen; er hat mich »Popcornmonster« genannt. Danach sind wir zu ihm nach Hause, er hat mir was auf der Gitarre vorgespielt, bis Mom angerufen und mich nach Hause beordert hat. Haben im Wagen wild geknutscht! Fährt übrigens einen Minivan, aber dafür kann er nichts.
Das Erste, was mir durch den Kopf geht, als ich ihn im Dämmerlicht auf unserer Veranda stehen sehe, ist Woah!
Was über meine Lippen kommt, ist – ob man es glaubt oder nicht – ein schlichtes, sogar leicht kokettes »Hey«.
»Selber hey«, sagt er. Er hat einen Pappbecher Kaffee in der Hand, sein Atem schwebt in kleinen weißen Wölkchen zwischen uns in der frostigen Luft.
Der Augenblick hat etwas Überwältigendes. Seine blitzenden blauen Augen, sein warmes Lächeln, die Selbstverständlichkeit, mit der er hier steht, vor meiner Haustür, an diesem Januarmorgen – ich habe das Gefühl, als würden gleich die Beine unter mir wegknicken.
»Können wir?«, fragt er sanft.
»Klaro«, sage ich ganz locker und überrasche mich selbst damit, dass ich zu so einem Tonfall überhaupt fähig bin. Ich folge ihm zu seinem Van, der mit laufendem Motor in der Einfahrt steht.
Ich habe gedacht, ich wäre auf ihn vorbereitet.
Heute Morgen habe ich alle Aufzeichnungen der letzten Monate überflogen, bin Dutzende von Fotos durchgegangen.
Aber Luke in natura ist was, auf das mich keine Notizen der Welt hätten vorbereiten können. Mein Freund ist … der absolute Hammer!
Ich schwinge mich auf den Beifahrersitz, als würde ich das jeden Tag tun (tue ich ja wohl auch) und schnalle mich an. Sobald ich es mir bequem gemacht habe, zeigt Luke auf
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