Forgotten
einen Kaffeebecher, der im Tassenhalter auf der Beifahrerseite für mich bereitsteht.
»Im Handschuhfach sind Muffins«, sagt er, während er aus der Einfahrt setzt. Ich klappe das Handschuhfach auf und finde darin eine Tüte aus der Bäckerei, die so lange meine Lieblingsbäckerei sein wird, bis sie in ein paar Jahren Pleite macht.
Aus meinen Aufzeichnungen weiß ich, dass dies hier unser Ritual ist: Luke fährt jeden Morgen mit mir zur Schule, und oft überrascht er mich dabei mit einem süßen Frühstück. Aber dank meiner nicht vorhandenen Erinnerung kommt es mir heute (wie jeden Tag, nehme ich an) vor wie das allererste Mal. Endlich hat mein kaputtes Gedächtnis mal was Gutes. Dreieinhalb Monate zusammen und jeden Tag wie frisch verliebt.
»Hat Jamie dich gestern eigentlich zurückgerufen?«, erkundigt sich Luke während der Fahrt. In meinen Aufzeichnungen stand nichts davon, dass ich sie angerufen habe, aber es hätte auf alle Fälle dringestanden, wenn sie zurückgerufen hätte.
»Nein«, sage ich ins Blaue hinein.
»Schade.«
Viel zu schnell sind wir am Schulparkplatz angelangt. Obwohl wir eines der ersten Autos sind, sucht sich Luke einen Parkplatz in der letzten Reihe.
»Kürzerer Fluchtweg«, meint er, als ich ihn fragend ansehe. Er schaltet auf Parken, lässt aber den Motor und die Heizung noch laufen. Ich frage mich, ob Luke immer ganz hinten parkt, und nehme mir vor, das zu meinen Aufzeichnungen hinzuzufügen, damit ich mich morgen nicht wieder darüber wundere.
»Ist dir kalt?«, fragt er.
»Nein, gar nicht. Wenn, dann ist mir eher zu warm in der Jacke.«
Er stellt die Heizung niedriger.
»Ich mag es, wenn du deine Haare so hast«, sagt er ganz unbefangen, wie es wohl nicht anders zu erwarten ist von jemandem, mit dem ich schon eine ganze Weile zusammen bin. Er trinkt langsam und genüsslich einen Schluck von seinem Kaffee, was in mir den Wunsch weckt, mein eigener so gut wie leerer Becher möge sich wie von Zauberhand wieder füllen.
Ich nehme eine Haarsträhne zwischen die Finger. Ich muss sie gestern Abend geglättet haben. Ich habe sie heute Morgen nicht gewaschen.
»Danke«, sage ich und erfreue mich an seinen blauen Augen.
»Und? Was gibt es sonst so?«, will er wissen.
Da ich absolut keine Ahnung habe, was in meinem Leben los ist, beschließe ich, ein Thema aus meinen Aufzeichnungen aufzugreifen. »Ich mach mir Sorgen wegen Jamie«, sage ich absichtlich vage in der Hoffnung, dass mir seine Antwort vielleicht verrät, ob ich schon mit ihm darüber gesprochen habe. In meinen Notizen stand zwar nichts davon, aber es zu versuchen schadet ja nichts.
»Was meinst du?«, fragt Luke und hebt erneut den Becher an die Lippen. Der Parkplatz füllt sich allmählich, aber wir sind ganz in unserer eigenen Welt.
»Kann ich dir was im Vertrauen sagen?«, frage ich.
»Natürlich. Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst, London.«
Das weiß ich streng genommen nicht, aber Schwamm drüber.
»Okay«, beginne ich. »Aber du darfst es niemandem erzählen.«
»Klar.«
Ich sitze einen Augenblick lang da, schaue in Lukes erwartungsvolles Gesicht und überlege, wie ich es schonend ausdrücken soll. Mir fällt nichts ein, also sage ich ihm am Ende einfach ungeschminkt die Wahrheit. »Jamie hat was mit einem Lehrer. Mit einem verheirateten Lehrer.«
Luke schweigt zunächst, dann sagt er gedehnt: »Oh.« So was hat er ganz offensichtlich nicht erwartet.
»Ich hab versucht, es ihr auszureden, aber sie lässt sich nichts sagen«, klage ich ihm mein Leid.
»Wie lange geht das denn schon?«
»Seit Oktober, als wir uns kennengelernt haben. Es hat ungefähr zur selben Zeit angefangen.«
Ich meine, Gekränktheit in seinen Augen aufflackern zu sehen – vielleicht weil ich ihm nicht früher davon erzählt habe. Ich weiß selbst nicht genau, warum ich es nicht getan habe, aber andererseits ist es ja nicht wirklich mein Geheimnis. Was höchstwahrscheinlich auch der Grund ist, weshalb ich jetzt ein schlechtes Gewissen habe.
»Welcher Lehrer ist es denn?«, will Luke als Nächstes wissen, und mit einem Mal bin ich sauer auf ihn.
»Das ist doch vollkommen egal!«, fauche ich.
»Hey, immer mit der Ruhe«, sagt er abwehrend, und ich frage mich unwillkürlich, ob wir jetzt und hier unseren ersten Streit haben werden.
»War ja bloß eine Frage.« Er sieht zur Wagenschlange in der Zufahrt zum Parkplatz hinüber.
»Tut mir leid, es ist einfach ein sensibles Thema. Ganz egal, wie unmöglich sie sich
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