Forgotten
dasselbe und folge ihm und meiner Mutter ins Haus. Meine Mutter stürmt durch den Eingangsflur geradewegs ins Wohnzimmer und baut sich in der Mitte des Raumes auf.
»Hinsetzen!«, befiehlt sie, als wir unsicher im Türrahmen stehen bleiben. Ich setze mich auf die äußerste Kante der braunen Couch, und der Junge setzt sich in die Mitte. Er lässt genügend Platz zwischen uns frei, ist aber nicht so feige, sich ganz ans andere Ende zu setzen. Mutig. Gefällt mir.
»Lasst mich zuallererst das Offensichtlichste loswerden«, beginnt meine Mom, und ihre Stimme brodelt vor mühsam unterdrückter Wut. »Ihr habt beide Hausarrest.«
Ich frage mich, woher meine Mutter die Befehlsgewalt nimmt, Mr Unbekannt Hausarrest zu erteilen, aber das ist jetzt wohl nebensächlich.
»Ich habe die halbe Nacht lang mit deinen Eltern telefoniert, Luke.«
Luke? Ein schöner Name.
Mom macht weiter. »Es ist wirklich beklagenswert, dass ich neue Nachbarn auf diese Art und Weise kennenlernen muss. Aber noch beklagenswerter ist vermutlich der momentane Zustand deines Vaters.« Dieser letzte Satz gilt natürlich Luke. »Er war die ganze Nacht draußen und hat nach euch gesucht. Und ich kann dir sagen, er ist geladen .«
Neben mir stöhnt Luke auf und lässt den Kopf in die Hände sinken.
Die Gardinenpredigt ist noch nicht zu Ende. »Ich rufe sie an, sobald du dich auf den Weg gemacht hast, damit sie wissen, dass euch nichts passiert ist. Aber zuerst will ich, dass einer von euch beiden mir erklärt, wo um alles in der Welt ihr die ganze Nacht gesteckt habt. Ich habe zigmal versucht, dich anzurufen, London! Ich habe dir bestimmt ein halbes Dutzend SMS geschickt!«
Ich hole mein Handy raus, schalte es an und sehe fünf neue SMS und acht verpasste Anrufe. »Es war ausgeschaltet«, nuschle ich betreten.
Mom verschränkt die Arme vor der Brust, und es wird still im Zimmer. Ich schiele zu Luke rüber. Er hebt auffordernd eine Braue, als hoffe er, dass ich meiner Mutter die Angelegenheit schon erklären werde.
Er hat ja keine Ahnung.
Ich schweige. Was bleibt mir übrig?
»Ist das dein Ernst?«, zischt er mir zu, bevor er notgedrungen meiner Mutter ins Gesicht sieht.
»Wir waren an der Verlängerung der Old Fox Road, oben auf dem Hügel«, sagt er. »Der Minivan hat einen DVD -Player, und wir haben einen Film gesehen, Pizza gegessen und die Sterne angeschaut. Es war alles ganz harmlos, bis … na ja, irgendwann müssen wir dann wohl eingeschlafen sein. Es tut mir wirklich leid, Mrs Lane. Was denn?«, zischt er in meine Richtung, als er zu mir rübersieht und merkt, dass ich ihn mit offenem Mund anstarre.
Ich kann nicht fassen, dass ich ein Date vergessen habe, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das beste meines ganzen Lebens gewesen sein wird!
Ich drehe mich zu meiner Mom um, und als die meinen entgeisterten Gesichtsausdruck sieht, verfliegt ihr Zorn schlagartig. Sie hat begriffen, dass ich mich an den Abend nicht mehr erinnern kann und nach dem Aufwachen höchstwahrscheinlich genauso viel Angst hatte wie sie die Nacht über. Aber sie hält die Scharade aufrecht – Lukes wegen – und fragt streng: »Entspricht das der Wahrheit, London?« Ihr Blick gibt mir zu verstehen, dass ich zustimmen soll.
»Äh, ja, genau so war’s«, wispere ich. Auf einmal will ich unbedingt mit diesem Luke allein sein, damit er mir jede Minute unseres Dates nacherzählen kann. Aber wenn ich mir seine Miene so ansehe – saure Zitrone mit einem Schuss Verwirrung –, habe ich Zweifel, dass er den Abend jetzt gleich noch mal erleben will. Ich glaube nicht, dass ich ihm von meiner fehlerhaften Verkabelung erzählt habe. Sicher kann ich mir natürlich nicht sein.
Meine Mom ergreift wieder das Wort. »Also schön. Weil ich meiner Tochter vertraue, und weil du auf mich den Eindruck machst, als kämst du aus einer guten Familie, Luke, werde ich mal glauben, dass es wirklich nur ein Versehen war. Es gefällt mir ganz und gar nicht, dass ihr zwei ganz allein so weit draußen wart, aber ich kann nicht behaupten, dass ich die Gegend nicht selbst schon ein oder zwei Mal erkundet hätte.«
Mom lächelt. Die Zitrone ist aus Lukes Miene verschwunden, jetzt ist nur noch die Verwirrung übrig. Wie kann es sein, dass die Furie auf einmal so zahm geworden ist?
Aber dann fällt sie wieder in die Rolle der strengen Mutter zurück und fährt in scharfem Ton fort: »Aber Hausarrest habt ihr trotzdem. Luke, du fährst jetzt besser nach Hause, deine
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