Forgotten
Dad uns verlassen hat.«
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht«, räumt Mom zu meiner Überraschung ein. Man sieht ihr an, wie unangenehm ihr das Thema ist.
»Was ist denn genau passiert? Irgendwann habt ihr einfach festgestellt, dass ihr euch nicht mehr liebt, oder was?«, hake ich nach.
Mom sieht mir nicht in die Augen, als sie antwortet. »Ja.«
»Und danach hat er sich nie wieder gemeldet?«
»Genau so war es.«
Die Geburtstagskarten zu Hause beweisen natürlich, dass sie lügt, aber ich widerspreche ihr nicht. Zuerst will ich ganz sicher sein.
»Er hat nie versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen oder so?«
Ich sehe genau, wie die Augen meiner Mutter schuldbewusst aufblitzen, als sie antwortet: »Nein, Liebes, es tut mir leid, aber das hat er nie getan.«
Ich glaub dir kein Wort, denke ich.
Dann kommen unsere Zwiebelringe.
*
Sobald wir zu Hause sind, hänge ich mich ans Telefon und rufe Jamie an. Sie nimmt nach dem dritten Klingeln ab.
»Hör auf, mich zu stalken«, sagt sie statt einer Begrüßung.
»Hi.« Was anderes fällt mir nicht ein.
»Ich hab deine Nachricht bekommen. Ich hab alle deine Nachrichten bekommen. Wenn ich wieder was mit dir zu tun haben will, werd ich mich schon melden, kapiert?«
»Meinst du nicht, dass wir einfach mal drüber reden sollten?«
»Weißt du überhaupt, worüber , London?«
»Ja«, sage ich. Ich habe meinen Spiralblock auf den Knien liegen.
»Aber nicht wirklich«, sagt Jamie bitter. »Nicht wirklich . Du kannst einfach einschlafen und zack! Alles ist vergessen. Ich hab so einen Luxus nicht.«
»Das ist kein Luxus!«, widerspreche ich hitzig.
»Was auch immer. Ich muss jetzt Schluss machen.«
»Aber J. Werden wir denn jemals wieder miteinander reden?«
»Keine Ahnung, London. Sag du’s mir.«
Klick.
*
»Was ist los?«, flüstert Luke ins Telefon.
»Nichts«, lüge ich.
»Jetzt sag schon. Ich höre es dir doch an.«
Ich lächle traurig. Warum kann ich mich nicht an dich erinnern?
»Ach, ich hatte einfach nur einen Scheißtag«, sage ich und zucke mit den Schultern, was er natürlich nicht sehen kann.
»Was war denn los?«
Ich beschließe, ihm wenigstens ein bisschen zu erzählen.
»Meine Mom und ich hatten in der letzten Zeit öfter Krach, und deswegen hat sie mich heute nach der Schule in ein Restaurant geschleppt, damit wir zusammen essen und ich über meine Gefühle reden kann. Dann hab ich versucht, Jamie anzurufen, und sie hat einfach aufgelegt. Langsam hab ich echt die Schnauze voll von ihrem Theater«, maule ich frustriert, und auf einmal ist mir zum Heulen zumute. »Sie kreist immer nur um sich selbst. Das macht mich wahnsinnig!«
Luke lacht leise.
»Was?«, schnauze ich ihn an.
»Nichts. Ich hab nur noch nie erlebt, dass du richtig wütend bist. Das ist süß.«
»Das ist überhaupt nicht süß!«, schreie ich ins Telefon. Er lacht noch lauter, und irgendwann gebe ich mich geschlagen und lache mit. Als wir uns wieder beruhigt haben, fragt er: »Aber jetzt mal im Ernst – gibt es was, womit ich dir helfen kann?«
»Es tut gut, mit dir drüber zu sprechen«, sage ich. »Das reicht schon.«
»Tut mir leid, dass ich nicht früher angerufen hab«, sagt er mit seiner Samtstimme, und mir rieselt ein Schauer über den Rücken. »Ich hab gemalt.«
»Macht nichts.« Ich zucke erneut mit den Achseln. »Ich hab Zwiebelringe gegessen und mit meiner Mom über meine Gefühle geredet.«
»Dann erzähl mir doch mal von dem –« Luke verstummt abrupt, dann sagt er leise: »Warte mal kurz.«
Ich höre ein Rascheln, als Luke die Hand über die Sprechmuschel seines Handys legt, dann eine Frauenstimme, die etwas sagt, was ich nicht verstehen kann. Lukes Antwort ist etwas lauter, aber genauso unverständlich.
Dann ist er wieder da.
»Sorry, das war meine Mom. Sie will, dass ich auflege. Sie sagt, es ist zu spät zum Telefonieren.«
»Oh.« Ich bemühe mich, nicht allzu enttäuscht zu klingen. Ich weiß ja, dass meine Mom genau derselben Meinung wäre. »Okay. Wir können uns ja morgen früh weiter unterhalten.«
»Okay«, sagt Luke.
»Gute Nacht, Luke.«
»Träum süß, London.«
Er legt auf.
Ich sitze noch ein paar Minuten reglos in der Dunkelheit, schaue mein Handy an und genieße das warme Gefühl, das unser kurzes Gespräch in mir hinterlassen hat. Ich weiß, dass ich mir gleich noch ein paar Notizen dazu machen muss, aber ich will noch nicht aufstehen.
Gerade als ich mich endlich dazu aufgerafft habe, das Licht anzuknipsen und
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