Forgotten
lässt.
»… gibt es Theorien, denen zufolge wir unterschiedliche Erinnerungen in unterschiedlichen Arealen unseres Gehirns abspeichern.«
Mit einem Schlag bin ich wieder hellwach und setze mich kerzengerade hin. Ich muss unbedingt hören, was als Nächstes kommt.
Die Harris dreht sich zur Tafel und schreibt ganz oben das Wort »Erinnerungstypen« hin. Sie ist gerade dabei, die Überschrift zu unterstreichen, da ertönt der Gong.
»Schluss für heute.«
*
Eine gute Stunde später sitze ich neben Mom im Wagen, aber statt nach Hause zu fahren, fährt sie in die entgegengesetzte Richtung. Ihre Miene zeigt ernste Entschlossenheit.
»Wo willst du hin?«
»Wir gehen essen.«
»Ich hab aber keinen Hunger.«
»Das macht nichts«, meint sie ungerührt. »Du musst nichts bestellen, wenn du nicht möchtest, aber ich finde, wir sollten unbedingt mal wieder ein bisschen Zeit miteinander verbringen.«
Muss das sein?
Mom parkt vor einem Diner und stellt den Motor ab. Wir gehen rein und suchen uns einen Tisch. Sobald die Kellnerin bei uns war und unsere Getränkebestellung aufgenommen hat – Cola light für Mom, normale Cola für mich –, beginnt Mom mit dem Small Talk.
»Und? War’s schön in der Schule?«
»Nee.«
»Oh. Warum nicht?«
Unsere Getränke werden gebracht. Meine Mom wickelt die Strohhalme aus und steckt sie in unsere Gläser. Sie nimmt einen Schluck von ihrer Cola und wartet, dass ich meine Antwort ausführe.
»Ich hab in Sport einen Ball ins Gesicht bekommen«, nuschle ich.
»Hast du dich verletzt?«
»Nein.«
»Gott sei Dank«, sagt sie. Erneut zieht sie an ihrem Strohhalm. »Und sonst?«
»Carley Lynch.«
»Was hat sie diesmal gemacht?«, will Mom wissen.
»Ach, nichts. Bloß wieder so ein dämlicher Kommentar wegen meinem Outfit.«
»Du siehst wunderhübsch aus, London.«
Ich zucke die Achseln.
»Sie ist bloß neidisch auf dich, das musst du dir immer wieder ins Gedächtnis rufen.«
»Tja, schade bloß, dass ich das nicht kann , Mom.«
Meine Mutter schweigt kurz, dann fragt sie betont beiläufig: »Hast du Jamie heute gesehen?«
»Natürlich nicht!«
»Seid ihr immer noch zerstritten?«
»Sieht wohl so aus«, blaffe ich und verdrehe genervt die Augen.
Eine Familie kommt rein und nimmt in der benachbarten Sitznische Platz, und meine Mom senkt – Gott sei Dank – ihre Stimme, als sie weiterspricht.
»Es besteht kein Grund, ausfallend zu werden, Schatz. Jamie wird sich schon wieder einkriegen. Bis jetzt habt ihr euch noch jedes Mal wieder vertragen. Und Carley ist eifersüchtig auf dich wegen einem Jungen. Christopher soundso. Sie waren letztes Jahr eine Weile zusammen, dann haben sie sich getrennt, und du hast ihn zu einem Ball eingeladen.«
»Ich habe einen Jungen zu einem Ball eingeladen?«
»Es war ein Ball mit Damenwahl, die Mädchen sollten ausnahmsweise die Jungs fragen. Jamie hat dich dazu überredet, hinzugehen. Wie auch immer, nach diesem einen Date hattet ihr nie wieder etwas miteinander zu tun, aber Carley nimmt es dir bis heute übel.«
»Hab ich dir das alles erzählt?«, frage ich entgeistert.
»Früher haben wir mehr miteinander gesprochen«, sagt Mom mit einem traurigen Ausdruck in den Augen. Sofort regt sich mein schlechtes Gewissen.
Ich sage nichts.
Die Kellnerin kommt wieder und fragt uns nach unseren Essenswünschen. Mom bestellt einen Teller Zwiebelringe, den wir uns teilen wollen. Ich liebe Zwiebelringe. Die Kellnerin geht weiter zum nächsten Tisch, und der Vater gibt für die gesamte Familie die Bestellung auf. Ein leiser Neid regt sich in mir, als ich höre, wie er mit seinen Kindern rumalbert.
»Wann ist Dad weggegangen?« Die Frage ist mir einfach so rausgerutscht.
Meine Mom reißt die Augen auf und verschluckt sich fast an ihrer Cola.
»Wie kommst du denn auf einmal darauf?«, fragt sie ausweichend.
Ich zucke mit den Achseln.
»Ist es das, was dich in der letzten Zeit so beschäftigt hat? Du willst mehr über deinen Vater wissen?«
»Ja, vielleicht.«
Mom rutscht auf ihrem Platz hin und her und räuspert sich.
»Also gut«, meint sie schließlich. »Ich habe es dir schon einmal gesagt, und jetzt sage ich es dir wieder. Dein Vater und ich haben einfach nicht zueinander gepasst. Wir sind nicht miteinander ausgekommen, und er ist ausgezogen, als du sechs warst. Das ist alles.«
Ich rufe mir meine Notizen ins Gedächtnis.
»Als ich sechs war, hat mein Gedächtnis angefangen, verrückt zu spielen. Vielleicht hab ich ein Trauma, weil
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