Forgotten
Enttäuschung in ihrem Gesicht, aber dann ist er sofort wieder verschwunden.
»Das ist schön, London«, sagt sie, stößt sich vom Tresen ab und schenkt sich Kaffee nach. »Dann fahre ich vielleicht noch kurz im Büro vorbei und erledige ein paar Sachen, die liegen geblieben sind.«
»Okay«, sage ich und freue mich, dass Luke und ich zumindest eine Zeitlang das Haus für uns haben werden. Meinen Aufzeichnungen zufolge ist er nämlich dermaßen sexy und heiß und umwerfend, dass ich unbedingt mit ihm allein sein will. Na ja, bis auf die Tatsache, dass er mich die ganze Zeit über angelogen hat, aber in seiner Nachricht stand ja, dass wir uns wieder vertragen haben. Ich hoffe nur, dass er mir genau erzählt, was gestern Abend passiert ist.
Wie aufs Stichwort klingelt es, und ich hechte quasi in den Flur, um ihm aufzumachen. Ich reiße die Tür auf, und mir bleibt fast die Luft weg, als ich den Jungen sehe, der da in der strahlenden Morgensonne vor mir steht.
Sicher, es gibt Fotos, aber das ist nicht dasselbe. Nein, ganz und gar nicht.
Luke hält zwei Pappbecher mit Latte in der Hand, aber statt reinzukommen, bleibt er auf der Veranda stehen.
»Los, komm«, sagt er.
»Wohin?«
»Wirst schon sehen.«
Ich laufe kurz ins Haus und sage meiner Mom, dass wir in die Mall fahren – könnte ja stimmen –, dann schnappe ich mir meine Jacke, das Handy und mein Portemonnaie. Als ich wieder auf die Veranda komme, steht Luke mit dem Rücken zu mir und blickt auf die Straße hinaus. Er hört meine Schritte und dreht sich zu mir um. Seine wunderschönen Augen strahlen.
»Fertig?«
»Jawohl«, sage ich, springe die Stufen hinunter und nehme den Kaffeebecher aus seiner ausgestreckten Hand entgegen. Er küsst mich sanft auf die Wange und flüstert: »Hast du meine Nachricht gefunden?«
»Ja.« Es klingt inniger als beabsichtigt, aber das ist mir nur recht.
»Gut«, sagt er auf eine Art, die mich ganz kribbelig macht. Wir gehen zu seinem Wagen, steigen ein und fahren los – wohin auch immer.
Ehrlich gesagt ist es mir auch vollkommen egal.
Ich habe einen Kaffee in der Hand, den Highway vor mir, einen umwerfenden Jungen an meiner Seite – der Tag kann nur fantastisch werden.
33
Acht Stunden später stehe ich auf einem Friedhof, die Sonne geht bereits unter, und ich frage mich, wie ich hierhin gekommen bin. Mit einem Mal ist mir ganz kalt, und mir kommen Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee war, alleine gehen zu wollen. Ich drehe mich um und gebe Luke, der im Wagen sitzt, ein Zeichen, woraufhin er sofort den Motor abstellt und aussteigt.
Als er zu mir kommt, nehme ich seine Hand, und die Berührung gibt mir den Mut, weiterzugehen.
Das, was ich vor mir sehe, erinnert mich zu sehr an die Beerdigung aus meinen Aufzeichnungen – eine Erinnerung, die inzwischen so komplex und verwirrend ist, dass es richtiggehend weh tut.
Es war lieb gemeint von Luke, mit mir in die Lingering-Pines-Seniorenresidenz zu fahren. Er hat gestern Abend alles darüber in meinen Notizen gelesen und heute Morgen im Wagen erklärt, dass er es für das Beste hielte, wenn ich meine Großmutter gleich persönlich träfe. Also hat er, nachdem er frühmorgens heimgefahren war, um zu duschen, sich frische Sachen anzuziehen und einen Kurzauftritt bei seinen Eltern hinzulegen, damit die sich keine Sorgen machen, gleich noch einen Stadtplan ausgedruckt und Proviant besorgt.
Während der Fahrt hat mir Luke den gestrigen Abend in all seinen komischen, romantischen und nicht ganz jugendfreien Einzelheiten geschildert. Manchmal hätte ich ihm am liebsten gesagt, er soll rechts ran fahren, damit ich mich über ihn hermachen kann.
Danach haben wir die meiste Zeit über mich geredet: über meine Aufzeichnungen und darüber, dass er noch immer nicht so ganz begreift, wie ich mein Leben auf die Reihe bekomme. Luke hat mir auch davon erzählt, wie wir uns als Kinder zum ersten Mal begegnet sind und dass er von Anfang an eine ganz besondere Verbindung zwischen uns gespürt hat. Und natürlich von unserem Schuh-Spiel.
Wir haben uns ewig auf dieser Fahrt unterhalten, unseren Latte Macchiato geschlürft und M&Ms und Erdnussbuttercracker gegessen, so dass ich mich entspannt, glücklich und geborgen gefühlt habe.
Dann kamen wir an unserem Ziel an.
Von der Lingering-Pines-Seniorenresidenz bekam ich nicht viel mehr zu sehen als den Empfangstresen, an dem eine übergewichtige junge Schwester erst im Computer nachschaute und dann ihre Vorgesetzte anrief,
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