Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
sein Wohnhaus schloss sich nämlich ein offenes Lagerhaus an,
von dessen Decke feinmaschige Netze voller weißer Kokons herunterhingen.
Darunter waren Garnrollen gestapelt. Der Geruch stand wie eine Wand um den
Gebäudekomplex, der sich in einer Werkhalle fortsetzte. Unter einem von Pfosten
getragenen Dach und umgeben von den allgegenwärtigen Netzvorhängen war eine
ganze Reihe von Frauen an Spinnrädern beschäftigt.
„Nie sehn sie so gehorsam aus wie an diesen Dingern“,
bemerkte Horgest mit einem hässlichen Grinsen. „ Das ist Frauenarbeit! So
gehört sich das!“
Als hätte sie ihn gehört, sah eine der Frauen auf und
musterte die jungen Männer, die da an ihnen vorbeigingen. Sie sagte etwas zu
ihren Kolleginnen, und plötzlich lachte die ganze Gruppe. In der Stille klang
das Gelächter laut und ganz und gar nicht unterwürfig. Auch die drei Männer,
die sich vor dem Hauseingang unterhalten hatten, sahen sich um. Ihr Blick glitt
von den Frauen zu den Fremden.
„Peregrini. Sind heute angekommen. Lagern auf der
Fendra-Aue“, erklärte einer von ihnen – es war der Gelichterjäger selbst. Die
Blicke der beiden anderen wurden noch aufmerksamer. Für einen Moment sahen die
blauen Augen des jüngeren Mannes James genau an. Der Mann hielt ein Stück Zweig
zwischen den Zähnen und kaute träge darauf herum, während sich seine Lippen zu
einem abwartenden Halblächeln verzogen. Kein angenehmer Blick. Kein
vertrauenerweckendes Gesicht. Der Mann spuckte seinen Zweig aus, ohne James aus
den Augen zu lassen, und wandte sich dann wieder dem Gelichterjäger zu.
Der Laden befand sich auf der anderen Seite des
Platzes, ein langgestreckter Bau mit einem gewölbten, dunkelblauen Dach, das
ihm das Aussehen einer liegenden, der Länge nach halbierten Tonne verlieh. An
der Wand lehnten Gartengeräte, stapelten sich Tische und Bänke, Korbwaren und
Gefäße. Über einem Gerüst hingen Teppiche. Eine riesige Fängerstandarte mit
einem absurden Aufsatz, der wie ein Delphin aussah, ragte über das Dach hinaus.
Da gab’s wohl eine Menge vor dem Zugriff des Gelichters zu beschützen.
Junipers Vorschlag, erst noch am Stand neben dem
Brunnen etwas zu trinken, wurde abgelehnt. „Ich lass mein Geld doch nicht bei
einem Wasserverkäufer“, sagte Firn. „Wenn schon, dann in dem Baraki da drüben,
und für ein kaltes Shervis.“
James entdeckte die Kneipe am anderen Ende des
Platzes. Der Gelichterjäger steuerte sie gerade an, mit den beiden anderen
Männern im Schlepptau.
Auf dem Weg zum Laden kamen sie am Turm vorbei, und
hier blieb James stehen, als er sah, dass dessen unteres Drittel mit
beschrifteten Tafeln bedeckt war. Vielleicht fand sich dort ein Hinweis darauf,
wo sie hier waren? Er kniff die Augen zusammen gegen das blendende Sonnenlicht
und versuchte, etwas zu entziffern. Namen und Jahreszahlen. Daneben waren in
winziger Schrift Ereignisse in der Stadt und der Präfektur festgehalten.
Englisch, durchsetzt von Wörtern, die er nicht verstand. Die Rechtschreibung
abenteuerlich. Nach einigen Zeilen gab er auf. Die einzige mühelos lesbare Inschrift
auf einer sorgfältig gearbeiteten Steintafel verkündete: „Emlyn der Harfner hat
diese Stadt von einem bösen Fluch befreit im Jahre fünfzehn des Präfekten
Roswin Oswiu. Gesegnet sei sein Weg!“. Schön für Fendurnen. Aber ihm half das
auch nicht weiter.
Dann bog überraschend Halfast um die Ecke des Turms,
ging ohne ein Wort an ihm vorbei und auf den Laden zu. Schon den halben Tag lief
der in verbissenem Schweigen herum, aber James argwöhnte, dass er selbst der
Einzige war, der diese bösen Blicke von ihm kassierte. Ob der ihm allen Ernstes
die unschuldige Frage nach Orla gestern Abend übelnahm? Und wie kam er dann
wohl damit klar, dass seine Orla demnächst einen anderen heiraten würde? Aber das
war Terrain, von dem er seine Gedanken besser fernhielt. Ungeduldig schob er
die Bilder aus seinem Traum beiseite, bevor sie sich wieder an ihn heranmachen
konnten, und ging hinter Halfast her zum Laden. Auf dem Ladenschild über der
Tür waren die Umrisse eines plumpen Tieres abgebildet – eines Maulwurfs, wie
James auf den zweiten Blick erkannte – und sonst nichts, kein Name.
Zwei messingfarbene Glocken klingklongten laut über
ihm, als er die Tür öffnete, und noch einmal, als sie wieder ins Schloss fiel.
Nach dem grellen Sonnenlicht draußen war es drinnen angenehm dämmrig. Heiß,
stickig und voll war es auch. Die anderen lungerten alle noch im
Eingangsbereich
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