Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
nicht im Fieber einer Infektion,
sie verblutete auch nicht. Sie sank still in den Tod, ihr misshandelter Körper
verabschiedete sich ganz leise und langsam. Drüben hätte man sie an Maschinen
angeschlossen und zumindest ihren Körper noch festgehalten.
„Ihr Schädel ist an mindestens zwei Stellen
gebrochen“, sagte der Hakemi. „Es kommt selten vor, dass jemand solche
Verletzungen überlebt. Und wenn, dann hat er wenig Freude daran.“
James nickte ein drittes Mal.
„Ihr habt ihr Rakuutsp gegeben, ja?“ Ohne auf Antwort
zu warten, fuhr der Mann fort: „Die Herrin sollte nichts davon erfahren. Sie
schätzt solche Dinge nicht. Sie selbst ist bisher von größeren Schmerzen
verschont geblieben und hat deshalb wenig Verständnis …“ Er stand auf, ein
leicht übergewichtiger Mann in den Sechzigern mit schulterlangem grauem Haar
und grünen Augen und einem Namen, den James nicht ganz verstanden hatte, der
aber arabisch geklungen hatte. Er hatte einen Kräuterkasten bei sich, wie ihn
auch Jakobe besaß. Hier nützte er ihm allerdings nichts. Wie um das zu
bestätigen, und weil James immer noch schwieg, sagte er: „Wir haben das nicht
in der Hand. Es ist Racht. Der große Teppich, dessen Muster wir nicht erkennen
können, weil jeder von uns nur ein Fädchen darin ist.“
„Es war nicht Racht. Es waren Schläger von der
Pelektá.“
„Ja. Davon habe ich gehört.“
„Und sie hat ein Kind, und der alte Mann da drüben ist
auch auf sie angewiesen.“
Der Hakemi nickte nachdenklich. „Sie muss sich die Leute
ziemlich verärgert haben. So etwas ist ein eher ungewöhnliches Vorgehen.“
„Wieso, brauchen die einen guten Grund, um Wehrlose zu
erschlagen?“
„Nun, in erster Linie sind das Geschäftsleute. Und die
Sache so anzugehen – das ist geschäftsschädigend, nicht wahr?“
„Die wollten vor allem zeigen, was passiert, wenn die
Dinge anders laufen, als denen das passt. Weil unser Chef ihren Geleitschutz
abgelehnt hat.“
„Hm. Aber sie wollte diesen Schutz? Nein – sie wollte
einen Schlepper, habe ich Recht?“
„Ja.“
„Tja-ja. Das wollen jetzt viele, und ich schätze, es
werden noch viel mehr werden, bevor das Jahr zu Ende ist.“
„Warum? Ich meine, ich hab von dem Vulkan gehört und
all das – aber warum fliehen die Leute nicht auf eigene Faust? Warum wollen sie
solchen Leuten dafür viel mehr Geld bezahlen, als sie selbst für die Flucht
brauchen würden?“
„Der Vulkan …“ Der Hakemi lachte auf, ein spöttisches,
resignierendes Lachen. „Wenn’s nur bei dem Vulkan bliebe … Die Leute wollen
schnell weg und weit weg, und darin sollen die Schlepper Experten sein. Es
heißt, dass sie noch einige der alten Wege kennen, die Wendokarn … Und die
Leute wollen das glauben. Vielleicht stimmt es sogar.“
„Wendokarn?“
„Die soll es doch früher gegeben haben – einen habt
ihr sogar eben in eurem Theaterstück genannt: die Wege unter dem Meer, die die
Jäger von Ligissila üblicherweise nahmen, um in den Norden zu kommen. Das
sollen Wege sein, auf denen man sehr viel schneller von einem Ort zum anderen
kommt, als man brauchen würde, um die tatsächliche Entfernung zurückzulegen,
verstehst du? Wege, die … driften.“
James hielt sich an das, was er verstanden hatte. „Und
die Schlepper nutzen solche Wege?“
„So sagt man. Glaub ich’s? Ich weiß es nicht. Schwer
vorstellbar. Aber es zeugt von Geschäftstüchtigkeit, Gerüchte dieser Art am
Leben zu erhalten, nicht wahr.“
„Und Sie meinen – man kann mit der Pelektá – äh,
Geschäfte machen?“
„Mein Junge, du machst hervorragende Verbände und ohne
Zweifel verfügst du über einen guten diagnostischen Sinn“, begann sein Kollege
– ganz in dem Ton, den auch einer seiner Professoren anzuschlagen pflegte. „Und
ein Etwas in deiner Art verrät mir auch, dass du die Gabe des Mitfühlens in
genau dem richtigen Maß besitzt, das einen guten Hakemi auszeichnet. Trotzdem
musst du noch eine Menge lernen. Die Pelektá … die Pelektá ist eine sehr, sehr
alte Organisation. Vor allem betreibt sie Handel, auf die verschiedensten Arten
und mit Zweigstellen überall, kreuz und quer über Salkurning und weit darüber
hinaus. Und es gibt eine ganze Reihe von Mitteln, die ich nur über diese
Händler bekomme. Verstehst du? Man zahlt den Preis, und dann kann man helfen.“
„Kriope hat ein bisschen mehr als nur den Preis
gezahlt. Und keine Gegenleistung bekommen.“
„Wenn das überhaupt wirklich das Werk der
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