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Forschungen eines Hundes

Forschungen eines Hundes

Titel: Forschungen eines Hundes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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selbst
    verläuft, kann niemand von sich behaupten, nicht einmal ich, des-
    sen Bedürfnisse sich förmlich von Tag zu Tag verringern. Und alle
    diese unendliche Mühe – zu welchem Zweck? Doch nur um sich
    immer weiter zu vergraben im Schweigen und um niemals und von
    niemand mehr herausgeholt werden zu können.
    Man rühmt oft den allgemeinen Fortschritt der Hundeschaft
    durch die Zeiten und meint damit wohl hauptsächlich den
    Fortschritt der Wissenschaft. Gewiß, die Wissenschaft schreitet
    fort, das ist unaufhaltsam, sie schreitet sogar mit Beschleunigung
    fort, immer schneller, aber was ist daran zu rühmen? Es ist so, als
    wenn man jemanden deshalb rühmen wollte, weil er mit zuneh-
    menden Jahren älter wird und infolgedessen immer schneller der
    Tod sich nähert. Das ist ein natürlicher und überdies ein häßlicher
    Vorgang, an dem ich nichts zu rühmen finde. Ich sehe nur Verfall,
    wobei ich aber nicht meine, daß frühere Generationen im Wesen
    besser waren, sie waren nur jünger, das war ihr großer Vorzug, ihr
    Gedächtnis war noch nicht so überlastet wie das heutige, es war
    noch leichter, sie zum Sprechen zu bringen, und wenn es auch nie-
    mandem gelungen ist, die Möglichkeit war größer, diese größere
    Möglichkeit ist ja das, was uns beim Anhören jener alten, doch
    eigentlich einfältigen Geschichten so erregt. Hie und da hören wir
    ein andeutendes Wort und möchten fast aufspringen, fühlten wir
    nicht die Last der Jahrhunderte auf uns. Nein, was ich auch gegen
    meine Zeit einzuwenden habe, die früheren Generationen waren
    nicht besser als die neueren, ja in gewissem Sinn waren sie viel
    schlechter und schwächer. Die Wunder gingen freilich auch da-
    mals nicht frei über die Gassen zum beliebigen Einfangen, aber die
    Hunde waren, ich kann es nicht anders ausdrücken, noch nicht so
    hündisch wie heute, das Gefüge der Hundeschaft war noch locker,
    das wahre Wort hätte damals noch eingreifen, den Bau bestim-
    men, umstimmen, nach jedem Wunsche ändern, in sein Gegenteil
    verkehren können und jenes Wort war da, war zumindest nahe,
    schwebte auf der Zungenspitze. Jeder konnte es erfahren; wo ist es
    heute hingekommen, heute könnte man schon ins Gekröse greifen
    und würde es nicht finden. Unsere Generation ist vielleicht verlo-
    ren, aber sie ist unschuldiger als die damalige. Das Zögern meiner
    Generation kann ich verstehen, es ist ja auch gar kein Zögern
    mehr, es ist das Vergessen eines vor tausend Nächten geträumten
    und tausendmal vergessenen Traumes, wer will uns gerade wegen
    des tausendsten Vergessens zürnen? Aber auch das Zögern unserer
    Urväter glaube ich zu verstehen, wir hätten wahrscheinlich nicht
    anders gehandelt, fast möchte ich sagen: Wohl uns, daß nicht wir
    es waren, die die Schuld auf uns laden mußten, daß wir vielmehr
    in einer schon von anderen verfinsterten Welt in fast schuldlosem
    Schweigen dem Tode zueilen dürfen. Als unsere Urväter abirrten,
    dachten sie wohl kaum an ein endloses Irren, sie sahen ja förmlich
    noch den Kreuzweg, es war leicht, wann immer zurückzukehren,
    und wenn sie zurückzukehren zögerten, so nur deshalb, weil sie
    noch eine kurze Zeit sich des Hundelebens freuen wollten, es war
    noch gar kein eigentümliches Hundeleben und schon schien es
    ihnen berauschend schön, wie mußte es erst später werden, we-
    nigstens noch ein kleines Weilchen später, und so irrten sie weiter.
    Sie wußten nicht, was wir bei Betrachtung des Geschichtsverlaufes
    ahnen können, daß die Seele sich früher wandelt als das Leben
    und daß sie, als sie das Hundeleben zu freuen begann, schon eine
    recht althündische Seele haben mußten und gar nicht mehr so
    nahe dem Ausgangspunkt waren, wie ihnen schien oder wie ihr
    in allen Hundefreuden schwelgendes Auge sie glauben machen
    wollte. – Wer kann heute noch von Jugend sprechen. Sie waren die
    eigentlichen jungen Hunde, aber ihr einziger Ehrgeiz war leider
    darauf gerichtet, alte Hunde zu werden, etwas, was ihnen freilich
    nicht mißlingen konnte, wie alle folgenden Generationen beweisen
    und unsere, die letzte, am besten.
    Über alle diese Dinge rede ich natürlich mit meinem Nachbarn
    nicht, aber ich muß oft an sie denken, wenn ich ihm gegenüber-
    sitze, diesem typischen alten Hund, oder die Schnauze in sein Fell
    vergrabe, das schon einen Anhauch jenes Geruches hat, den abge-
    zogene Felle haben. Über jene Dinge mit ihm zu reden wäre sinn-
    los, auch mit jedem anderen. Ich weiß, wie das

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