Forschungen eines Hundes
selbst
verläuft, kann niemand von sich behaupten, nicht einmal ich, des-
sen Bedürfnisse sich förmlich von Tag zu Tag verringern. Und alle
diese unendliche Mühe – zu welchem Zweck? Doch nur um sich
immer weiter zu vergraben im Schweigen und um niemals und von
niemand mehr herausgeholt werden zu können.
Man rühmt oft den allgemeinen Fortschritt der Hundeschaft
durch die Zeiten und meint damit wohl hauptsächlich den
Fortschritt der Wissenschaft. Gewiß, die Wissenschaft schreitet
fort, das ist unaufhaltsam, sie schreitet sogar mit Beschleunigung
fort, immer schneller, aber was ist daran zu rühmen? Es ist so, als
wenn man jemanden deshalb rühmen wollte, weil er mit zuneh-
menden Jahren älter wird und infolgedessen immer schneller der
Tod sich nähert. Das ist ein natürlicher und überdies ein häßlicher
Vorgang, an dem ich nichts zu rühmen finde. Ich sehe nur Verfall,
wobei ich aber nicht meine, daß frühere Generationen im Wesen
besser waren, sie waren nur jünger, das war ihr großer Vorzug, ihr
Gedächtnis war noch nicht so überlastet wie das heutige, es war
noch leichter, sie zum Sprechen zu bringen, und wenn es auch nie-
mandem gelungen ist, die Möglichkeit war größer, diese größere
Möglichkeit ist ja das, was uns beim Anhören jener alten, doch
eigentlich einfältigen Geschichten so erregt. Hie und da hören wir
ein andeutendes Wort und möchten fast aufspringen, fühlten wir
nicht die Last der Jahrhunderte auf uns. Nein, was ich auch gegen
meine Zeit einzuwenden habe, die früheren Generationen waren
nicht besser als die neueren, ja in gewissem Sinn waren sie viel
schlechter und schwächer. Die Wunder gingen freilich auch da-
mals nicht frei über die Gassen zum beliebigen Einfangen, aber die
Hunde waren, ich kann es nicht anders ausdrücken, noch nicht so
hündisch wie heute, das Gefüge der Hundeschaft war noch locker,
das wahre Wort hätte damals noch eingreifen, den Bau bestim-
men, umstimmen, nach jedem Wunsche ändern, in sein Gegenteil
verkehren können und jenes Wort war da, war zumindest nahe,
schwebte auf der Zungenspitze. Jeder konnte es erfahren; wo ist es
heute hingekommen, heute könnte man schon ins Gekröse greifen
und würde es nicht finden. Unsere Generation ist vielleicht verlo-
ren, aber sie ist unschuldiger als die damalige. Das Zögern meiner
Generation kann ich verstehen, es ist ja auch gar kein Zögern
mehr, es ist das Vergessen eines vor tausend Nächten geträumten
und tausendmal vergessenen Traumes, wer will uns gerade wegen
des tausendsten Vergessens zürnen? Aber auch das Zögern unserer
Urväter glaube ich zu verstehen, wir hätten wahrscheinlich nicht
anders gehandelt, fast möchte ich sagen: Wohl uns, daß nicht wir
es waren, die die Schuld auf uns laden mußten, daß wir vielmehr
in einer schon von anderen verfinsterten Welt in fast schuldlosem
Schweigen dem Tode zueilen dürfen. Als unsere Urväter abirrten,
dachten sie wohl kaum an ein endloses Irren, sie sahen ja förmlich
noch den Kreuzweg, es war leicht, wann immer zurückzukehren,
und wenn sie zurückzukehren zögerten, so nur deshalb, weil sie
noch eine kurze Zeit sich des Hundelebens freuen wollten, es war
noch gar kein eigentümliches Hundeleben und schon schien es
ihnen berauschend schön, wie mußte es erst später werden, we-
nigstens noch ein kleines Weilchen später, und so irrten sie weiter.
Sie wußten nicht, was wir bei Betrachtung des Geschichtsverlaufes
ahnen können, daß die Seele sich früher wandelt als das Leben
und daß sie, als sie das Hundeleben zu freuen begann, schon eine
recht althündische Seele haben mußten und gar nicht mehr so
nahe dem Ausgangspunkt waren, wie ihnen schien oder wie ihr
in allen Hundefreuden schwelgendes Auge sie glauben machen
wollte. – Wer kann heute noch von Jugend sprechen. Sie waren die
eigentlichen jungen Hunde, aber ihr einziger Ehrgeiz war leider
darauf gerichtet, alte Hunde zu werden, etwas, was ihnen freilich
nicht mißlingen konnte, wie alle folgenden Generationen beweisen
und unsere, die letzte, am besten.
Über alle diese Dinge rede ich natürlich mit meinem Nachbarn
nicht, aber ich muß oft an sie denken, wenn ich ihm gegenüber-
sitze, diesem typischen alten Hund, oder die Schnauze in sein Fell
vergrabe, das schon einen Anhauch jenes Geruches hat, den abge-
zogene Felle haben. Über jene Dinge mit ihm zu reden wäre sinn-
los, auch mit jedem anderen. Ich weiß, wie das
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