Fortunas Odyssee (German Edition)
in dem er Terezas Briefe gelesen hatte.
Mama zitterte.
»Ich muss das irgendjemandem zeigen. Wenn ich es nicht tue und Genésio entdeckt, dass ich das gefunden habe, nehme ich sein größtes und widerlichstes Geheimnis mit ins Grab.«
Aristeu schluckte, faltete das Papier auseinander und begann, zu lesen. Seine Augen wurden immer größer, je weiter sie über diese Zeilen glitten. Am Ende sah ich, wie seine Hände zitterten.
»Das ist sehr schwerwiegend, ja ungeheuerlich!« er ließ den Mund offenstehen.
»Was soll ich tun?«
Er dachte eine Weile nach und rückte mit seinem Stuhl näher an sie heran.
»Wir müssen das der Polizei mitteilen, und zwar schnell«, flüsterte er.
Mama kniff die Lippen zusammen. Sie war in ebenso großer Gefahr wie Vicenta damals, nur dass diese es nicht gewusst hatte.
Auf diesem Papier hatte die Magd folgende Geschichte niedergeschrieben:
An einem sonnigen Nachmittag war es ihr nicht gut gegangen, denn sie erwartete ein Kind, nachdem sie von ihrem Patron vergewaltigt worden war. Ihrer Patronin Cecília war diese Tatsache bekannt, aber sie konnte nichts tun, denn abgesehen von der Angst, die sie vor ihm hatte, konnte sie sich auch nirgends mehr hinwenden, weil er und seine Mutter sich ihren ganzen Besitz unter den Nagel gerissen hatten.
Während sie sich einen Tee zubereitete, bückte sich die Chefin, um am Wasserhahn im Hinterhof, den man von der Küche aus sehen konnte, Wäsche zu waschen. Ohne Vicentas Anwesenheit zu bemerken, näherte sich Genésio seiner Ehefrau mit einem Stein in der Hand und schlug ihn mit aller Wucht gegen ihren Kopf. Vicenta verließ die Küche und floh auf die Toilette. Er trat ins Haus, rief nach ihr und wollte wissen, wo sie gewesen war. Sicher, dass sie nichts mitbekommen hatte, trug er ihr auf, seiner Frau etwas auszurichten. Er habe sie überall vergeblich im Haus gesucht und müsse dringend Kunden im Laden bedienen.
Nachdem er gegangen war, ging sie in den Hinterhof, wo sie ihre Patronin leblos antraf. Für alle Leute in der Stadt war es ein Unfall, aber Vicenta hinterließ eine Spur. »Sie lag mit der rechten Gesichtshälfte auf dem steinernen Beckenrand, aber die Verletzung war auf der linken Seite. Das fiel niemandem auf und keiner schöpfte Verdacht.«
Der Polizei erzählte Genésio, dass sie immer ziemlich benommen von den vielen Medikamenten war, die sie vorgab, einnehmen zu müssen, und die er in einer anderen Stadt eingekauft habe.
Vicenta enthüllte außerdem, dass der Mord am ehemaligen Bürgermeister und seiner Frau von Männern des Coronels und mit Waffen von Genésio begangen worden war. Das Verbrechen war in seinem Haus geplant worden, wo sie zufällig Zeugin der Unterhaltung geworden war. Sie berichtete über ihre Angst, das nächste Todesopfer zu sein, weil sie ihm ihr Wissen über den diabolischen Plan, den er und der Coronel planten, gestanden hatte. Sie erwähnte den illegalen Waffenhandel und schloss ihren Brief mit einer Nachricht an ihre Familie ab: »Sollte mir etwas zustoßen, dann wisst ihr, dass er es war, Genésio Fritz.«
Mama erzählte Aristeu, dass Vicentas Familie niemals die Geschichte von ihrem Selbstmord geglaubt habe.
Aristeu dachte nach, während er sein Kinn bewegte.
»Weiß er, dass Sie hier sind?«
»Ja. Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Mittel gegen Kopfschmerzen kaufen wolle.«
Er holte das Mittel und gab ihr auch den Brief zurück.
»Halten Sie ihn weiter versteckt. Ich werde nachdenken, wie ich helfen kann.«
Bevor sie ging, bat sie ihn um ein Beruhigungsmittel, das er ihr schenkte.
Mama ging zur Straße unseres Hauses, aber zuerst besuchte sie Kita, um sich von ihr eine Leiter auszuleihen. Sie lehnte sie gegen die Hinterwand des Hauses, stieg zum Fenster des Zimmers, das einmal Tereza gehört hatte, und stieß es mit Gewalt auf.
Sie kam sich vor wie ein Eindringling, schlich durch den Korridor, stieg die Treppe hinab und näherte sich der Eingangstür. Es gab keine Korrespondenz. Sie untersuchte das Schloss und entdeckte, dass es ausgewechselt worden war.
»Das ist es also«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
Sie ging ins Wohnzimmer und erschrak, weil die alte Standuhr nicht mehr dort war. Im Keller entdeckte sie, dass die Weinkisten verschwunden waren, und sie war sich jetzt sicher, dass es dieselben waren, die sie in Genésios Haus gesehen hatte.
Sie setzte sich auf den Boden mit dem Blick auf die Stelle, an der einmal die Uhr gestanden hatte, und dachte nach, als ihr plötzlich
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