Fortunas Odyssee (German Edition)
dasselbe zu empfinden wie ich.
»Das heißt also, dass sie Kinder verloren hat, die Arme. Das erklärt die vielen Spielsachen in ihrem Zimmer und den Hass, den sie gegenüber anderen Kindern empfindet.«
Er nickte mit dem Kopf und beobachtete bedauernd die schluchzende Frau. Ihr Mann ließ sich ins Bett fallen und schlief seinen Rausch aus. Der Hexer und ich blieben die ganze Nacht bei ihr und schauten zu, wie sie viele Zigaretten rauchte und nicht schlafen konnte, bis der Mond und die Sterne verblasst waren. Ich verstand ihren Schmerz und beklagte, dass andere sie nicht verstehen konnten.
Die Tage vergingen und der Pfarrer hörte auf, Fred weiter zu belästigen, weil er Tims Taschenlampe gefunden hatte. Der Kirchenmann nahm sie mit zur Schule und bat die Lehrerinnen, ihre Schüler zu fragen, wem sie gehörte. Als Tim sie in der Hand seiner Lehrerin sah, bekam er einen Schreck, denn bis dahin war es ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass er sie vergessen hatte. Er hielt den Mund und riss nur die Augen auf.
»Sie gehört mir!«, sagte Pinkel-João und hob seine Hand.
»Na, dann nimm sie.«
Als er zu ihr kam, beugte sie sich vor und flüsterte ihm ins Ohr:
»Pass auf, wenn du weggehst, um zu beten, besonders im Dunkeln.«
João verstand kein Wort und nahm die Taschenlampe. Ich atmete tief durch und war ihm dankbar für diese Lüge.
Am nächsten Tag wartete der Pfarrer die Pause ab, packte ihn am Arm und zog ihn hinter die Schule.
»Bengel, wenn du das noch mal machst, geh’ ich zu deinem Vater und erzähl ihm, wo du dich so rumtreibst.«
João fing an zu zittern und erinnerte sich an die letzte Tracht Prügel.
»Verzeihung, Padre Be…«
»Schwörst du, das nie mehr zu tun?«, fragte er und drückte kräftiger zu.
»Ich schwöre es, ich werde nie mehr im Dunkeln beten. Ich schwöre es, ich schwöre es!«
»Hmm, das klingt schon besser. Lass dich dort nie mehr blicken! Verstanden?«
»Ja, Herr Pfarrer.«
So blieb es zwischen ihnen abgemacht. Man konnte die Fingernagelabdrücke des Pfarrers auf Joãos Haut erkennen,
als er mit dem festen Glauben auf den Schulhof zurückkam, dass es eine Sünde sei, im Dunkeln zu beten.
Das größte Opfer des Pfarrers unter all den Kindern in Madrigal war ein anderer Ministrant, der gerade zehn Jahre alt war. Ich erinnere mich nicht an seinen Namen, aber seine Veränderung wird für immer in meinem Gedächtnis verankert sein. Die Belästigungen des Priesters wurden immer drängender und endeten schließlich in der Vergewaltigung des Kindes.
Ich war den Schritten dieses perversen Menschen gefolgt, der hinter seiner Kutte seine pädophilen Fantasien verbarg und seine repräsentative Rolle in der Gesellschaft schamlos ausnutzte. So war ich zugegen, als er der Kindheit dieses Jungen voller Träume ein jähes Ende setzte.
»Tun Sie etwas, Hexer!«, bat ich, während ich voller Abscheu und Mitleid weinte.
Er schüttelte nur den Kopf.
»Wer sonst?«, schrie ich. »Sehen Sie doch! Was für eine Szene!« Ich ließ mich kraftlos zu Boden fallen.
»Ich bin genauso traurig, Tim«, sagte er mit Tränen in den Augen, »und ich würde alles tun, um es zu verhindern, aber ich kann es nicht.«
»Und warum nicht?«
»Ich kann weder die Geschehnisse noch die Taten der Menschen verhindern.«
Ich richtete meinen Blick auf ihn und ich gestehe, dass ich ihn zusammengeschlagen hätte, wäre ich dazu in der Lage gewesen. Warum hatte er mich bis zu diesem Punkt gebracht, wenn es keine Möglichkeit gab, einzuschreiten?
Ich hatte alle Illusionen verloren.
»Es gibt keine Hexer«, sagte er, als er sich die Tränen abwischte.
»Er ist ein Kind, ein unschuldiges Kind! Schauen Sie in sein Gesicht, damit Sie die traurige Seele hinter seinen Augen wahrnehmen.«
»Ja Tim, ich sehe es.«
Ich trat voller Wut in den Hintern dieses abscheulichen Kirchenmannes.
Die Schulleistungen des Jungen ließen drastisch nach, er lief mit gesenktem Kopf umher, voller Scham und Schuldgefühl, weil er nicht in der Lage gewesen war, sich gegen diesen Mann zu wehren, den er einst bewundert hatte. Er wurde fast jede Nacht von Albträumen gequält und verwandelte sich in ein apathisches Kind ohne Träume, ohne Perspektiven und ohne Lebenslust. Ich ging gelegentlich zu den Messen dieses Scheusals und wünschte ihm den Tod. Wer solch ein Verbrechen begeht, quält ein Kind nicht nur physisch, sondern zerstört auch eine Kindheit, ein ganzes Leben.
Aber sprechen wir nach diesem düsteren Geschehnis über Tims
Weitere Kostenlose Bücher