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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliane Reinert
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großen Tag. Roger Ray war schon früh im Haus des Bürgermeisters angekommen, wo er während des Ereignisses untergebracht war.
    »Der Popel-Gil hat vielleicht ein Glück!«, dachte Tim laut.
    Die Luxuslimousine des Bürgermeisters, die vor dem Tor stand, wurde dem jungen Mann samt livriertem, geschniegeltem Chauffeur zur Verfügung gestellt und weckte die Aufmerksamkeit einer Menge Schaulustiger. Viele wollten ihr Idol aus der Nähe bewundern, aber sie mussten sich bis zum Schulfest gedulden.
    Ich ging ins Haus und sah ihn, wie er auf dem pompösen Bett des Gästezimmers lag, sich von einer Hausangestellten mit einem Fächer frische Luft zuwedeln ließ und sich über irgendetwas beschwerte.
    »Was für ein armseliges Nest! So viele arme und schlecht gekleidete Leute. Zu viele!«
    Die elegante Dame, die ihn begleitete, öffnete den Vorhang.
    »Mein Sohn, sieh nur, wie viele Menschen da draußen sind!«
    »Keine Lust! Mach den Vorhang zu!« Anschließend schlug er sich auf den eigenen Arm. »Scheiß Moskitos!«
    »Also Roger, es sind doch deine Fans.«
    »Solche Fans können mich mal. Ich will sie nicht!«
    Die Frau schloss den Vorhang und ging zur Zimmertür, weil jemand geklopft hatte.
    »Frau Ray, der Bürgermeister lässt ausrichten, dass das Frühstück in fünf Minuten serviert wird.«
    »Danke schön.«
    Er verzog das Gesicht, als er das hörte, stieß die Hausangestellte an den Arm, damit sie mit der Wedelei aufhöre, schmierte sich Pomade ins Haar und puderte sein Gesicht. Ich amüsierte mich. Ich hatte nicht mehr gelacht, seit der Junge missbraucht worden war.
    In der Stadt tummelten sich jede Menge Fernseh- und Radioleute, dazu Journalisten, die bis hierher gekommen waren, um über dieses epochale Ereignis zu berichten. Roger Ray ließ sich fotografieren und gab Interviews, wobei er sich immer in Pose stellte. Der junge Mann besuchte etliche Plätze in der Stadt sowie einige Fazendas, unter ihnen Genésios Anwesen. Von dort wollte er schnell wieder weg; er gab an, ihm sei schlecht.
    Tim klammerte sich an das Tor vor dem Haus des Bürgermeisters, aber ein Wärter verscheuchte ihn. Er versuchte vergeblich, auf seine Beziehungen zu pochen:
    »Ich bin ein Freund von Gil.«
    »Heute sind alle seine Freunde. Verschwinde, Steppke!«, antwortete der Muskelprotz.
    »Herzloser Grobian!«, schrie ich ihn an.
    Tim kam heulend nach Hause und hörte erst auf, als Mama ihn tröstete.
    »Heute Nachmittag wirst du mit Roger im selben Schwimmbecken sein. Spar dir deine Tränen.«
    Tim trainierte in der Schule, beendete den Abschlusstest weit vor den anderen Jungen und zeigte, dass er ein würdiger Kandidat war.
    Am Anfang des Nachmittags gingen die Bewohner voller Erwartung in die Schule.
    Genésio ließ es sich nicht nehmen, seinen Sohn dorthin zu begleiten. Fred nahm, wie immer, an einem Jugendtreffen in der Kirche teil. Unter den Kindern war auch der missbrauchte Junge, der schweigend mit gesenktem Kopf dasaß. Der Pfarrer tat so, als wäre nichts geschehen, gab ihm ein paar Klapse auf den Rücken und lobte ihn.
    Tim verließ das Haus vor seiner Mutter und trug in einer Tasche das Geschenk für sein Idol. Er fuhr mit seinem Fahrrad, ohne auf die Löcher der Straße zu achten, und während er in die Pedale trat, stellte er sich den magischen Augenblick vor, an dem er vor Roger Ray stehen und ihm das schönste Modell seiner Kollektion schenken würde.
    »Das ist für Sie«, würde er bei der Überreichung des Geschenks sagen.
    »Oh, was für eine schönes Auto! Wie heißt du, mein Junge?«
    »Tim. Ich heiße Tim Ligier«, würde er antworten, und Roger würde ihn kräftig umarmen.
    Er ließ den Lenker los und fuhr freihändig weiter. Das Fahrrad geriet in ein Loch und er verlor das Gleichgewicht.
    Die frisch gewaschene und gebügelte Kleidung verwandelte sich in ein braunes schmutziges Etwas, das an seinem Körper hing. Der Staub knirschte zwischen seinen Zähnen und seine Haare standen vom Kopf ab. Er stand auf, spuckte den Staub aus und versicherte sich, ob das Auto nichts abbekommen hatte.
    Er stieg wieder auf sein Fahrrad, stellte sich den großen Augenblick vor und lächelte.
    So fuhr er träumend und fröhlich vor sich hin. Manchmal brauchen wir Illusionen, um glücklich zu sein.
    Das Fest begann mit den Reden des Bürgermeisters, einiger Sportfunktionäre und der Schuldirektorin. Dann war Roger Ray an der Reihe, war aber zerstreut und brachte kein Wort heraus.
    »Liebe Bürger von…«, begann er, aber er hatte den

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