Fortunas Odyssee (German Edition)
näherte mich dem Sarg. Dort lag sie. Ihr Gesicht schien entspannt, und ihre Züge erinnerten an Papa. Die Hände waren über ein violettes Kleid gekreuzt, das fast vollständig von weißen Blumen bedeckt war, die einen süßlichen Duft verbreiteten. Ich schaute mich um und sah einige Anwesende mit einem Rosenkranz und zitternden Lippen. Andere wiederum näherten sich schnell, warfen einen Blick auf die Verstorbene und zogen sich eilig wieder zurück. Ein Pfarrer gähnte in einer Ecke dieses kalten Raumes. Um ihn herum standen acht Nonnen. Ich mischte mich unter die Leute und hörte ihren Kommentaren zu.
»Sie war eine Heilige.«
»Ein Tumor im Kopf ist eine ernste Angelegenheit, das ist unheilbar.«
Ich hörte weiter zu und erfuhr, dass sie durch diesen Tumor längere Zeit im Koma gelegen hatte. Ich dachte an ihren Brief, in dem sie geschrieben hatte, dass sie nicht mehr lange leben würde, weil ihr Herz schwach sei. Ich kam zum Schluss, dass ihr Gehirn sie über den wahren Grund ihrer Schwäche getäuscht hatte.
Nebenan gab es einen kleinen Raum, in dem einige Leute Kaffee tranken und Plätzchen aßen.
Ich sah einen Jugendlichen, der dort mit gesenktem Kopf zwischen drei anderen Teenagern saß. Ich ging auf die Gruppe zu und erkannte Tim, der sich ziemlich verändert hatte. Seine Haare waren kurz geschoren, und sein Gesicht war länger und feiner geworden. Seine Haut war voller Pickel, die unappetitliche Akne hatte sein Gesicht mit unzähligen kleinen und einigen großen, eitrigen Pusteln überzogen.
So wurde meine Tante in Mamas, Terezas und Freds Abwesenheit begraben. Tim besuchte, wie schon gesagt, eine technisch-militärische Schule. Aufgrund seiner Begabung im Umgang mit Autos und des Wissens, das er sich in einigen Kursen angeeignet hatte, wurde er dazu auserwählt, die Reparaturen des gesamten Fahrzeugbestands in der Kaserne durchzuführen. Er war bald unter den Offizieren bekannt und angesehen, die ihn zu ihren Festen einluden, wo er einflussreiche und wohlhabende Menschen kennen lernte. Er bekam ein Stipendium und arbeitete bald mit renommierten Professoren zusammen.
Trotzdem weinte er manchmal, wenn er sich an seine arme, jedoch glückliche Kindheit in Madrigal erinnerte. Er überlegte sich, was Mama dazu getrieben haben könnte, sich auf diese Weise abzusetzen. Er träumte davon, sie wiederzusehen, und obwohl er über ihre angebliche Entscheidung keinen Verdacht schöpfte, war er bereit, ihr zu verzeihen.
Bei einem dieser Militärbälle hörte er den unglaublichen Geschichten der trinkenden Offiziere zu, als drei Freunde ihn aufforderten.
»Los, Ligier, die Mädels sind alle da drüben.«
Die Tanzfläche war noch leer, weil die Kapelle ihre Instrumente stimmte. Drei junge Frauen saßen am Tresen, zwei an einem Tisch daneben und vier weitere auf einem Sofa aus weißem Leder. Alle trugen Spitzenkleider und Stöckelschuhe. Es war die Höhe der Gefühle, zu sehen, wie die Kleider ihre Knie freigaben. Sie kicherten albern und zupften ständig daran herum, aber die Jungen kamen auf ihre Kosten.
Die Jugend!
Einer der Freunde bot Tim eine Zigarette an, aber er lehnte sowohl mit dem Kopf als auch mit der Hand ab. Bravo, Tim!
Ich lief durch den Saal, auf der Suche nach dem Hexer. Es kam mir vor, als hätte ich ihn seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen. Tim setzte sich auf einen großen Barhocker und bestellte einen Whisky, obwohl er eine gewisse Angst empfand, auch einmal ein Alkoholiker zu werden wie sein Vater.
Und wer stand hinter dem Tresen? Er lachte und bot mir einen Drink an.
Während Tim an seinem Whisky nippte, dachte er an den Umzug, der ihm bevorstand. Er wollte nicht mehr an diesem Ort bleiben, wo er die letzten Jahre gewohnt hatte. Die Erinnerung und die Einsamkeit belasteten ihn täglich immer mehr, er konnte diese Wohnung nicht mehr ertragen.
Er erinnerte sich an die Sammlung seiner Modellautos; an die Brücken, die er mit Fred im Garten gebaut hatte und an den Geruch der frischgebackenen Kuchen, der auf die Straße drang, wo Fred und er mit Freunden Fußball spielten. Er dachte an Mama und an ihre Zärtlichkeit. Wie oft war er mitten in der Nacht aufgewacht und hatte ihren Namen gerufen. Dann war Tante Geórgia immer gekommen und bei ihm geblieben, bis er wieder eingeschlafen war.
»Warum hat sie mich verlassen?«, fragte er, und Tante Geórgia umarmte ihn mit den Worten, dass er diese Frage eines
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