Fortune de France: Roman (German Edition)
Bruder.«
»Euer Halbbruder!«
»Zuweilen«, sagte ich, die Fäuste ballend, »ist ein Halbbruder besser als ein richtiger Bruder.«
»Ihr wagt es, mich zu beleidigen?« schrie François, außer sich. »Wißt Ihr nicht, daß Samson nur ein elender Bankert ist und weniger wert als ein Häufchen Scheiße?«
An dem, was nun folgte, hatte mein Wille keinerlei Anteil. Ich stürzte wie ein Wilder auf François los und versetzte ihm eine solche Maulschelle, daß ihm das Blut aus der Haut trat; und weil der Feigling, anstatt sich zu wehren, sich zur Flucht wandte, bekam er noch einen kräftigen Tritt in den Hintern. So stahl sich mein erstgeborener Bruder blutend und jammernd aus dem Saal und hatte in meinen Augen alle Ehre verloren. Auf der Treppe, welche zu Sauveterres Turm führte, hörte ich ihn dann schreien, ich hätte ihn erschlagen wollen wie Kain seinen Bruder Abel.
Ha, was war das für ein denkwürdiger Tag in den Annalen Mespechs, als ich die Hand gegen meinen älteren Bruder erhob! Daran änderten auch die schweren Vorhaltungen nichts,die Peitschenhiebe, die Tränen meiner Mutter, die finstere Miene Sauveterres, die Einkerkerung: zwei Tage bei Wasser und Brot im Nordostturm, worinnen ich als einzige Gesellschaft einen Besen vorfand, mit welchem ich wie der leibhaftige Satan auf die Spinnweben losging, obgleich mich mein Hinterteil gewaltig schmerzte. Nach einer Zeit erschien Barberine, die Wangen naß von Tränen (denn ich hatte – ausgenommen meine Mutter – alle Frauen des Hauses auf meiner Seite), mir schönes frisches Weißbrot zu bringen sowie einen Krug Wasser, welches sich dann als Milch erwies. Minuten später drehte sich der Schlüssel wiederum im Schloß, und Samson trat herein, stellte einen Topf Honig auf den Boden, lächelte mir zu und verschwand wieder.
Aus Scham hatte ich dem Oheim Sauveterre verschwiegen, was François über Samson gesagt, doch er erfuhr es von der Maligou, welche in ihrer Spülkammer alles mit angehört. Als er nun in meinen Kerker gehumpelt kam, mich darüber zu befragen, gewahrte er den Honig, in welchen ich mein Brot stippte, und seine Stirn verfinsterte sich.
»Was ist das?« fragte er.
»Honig, mein Herr Oheim«, sagte ich, mich erhebend.
»Das sehe ich wohl. Wer hat ihn dir gebracht?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Ich weiß es aber schon«, sagte darauf Sauveterre.
Er sah auch die Milch, weil seinen Augen nichts entging, doch verlor er kein Wort darüber, sondern ließ mich nur ganz genau wiederholen, was François über Samson gesagt. Darauf verfinsterte sich wiederum seine Stirn, und er sprach mißmutig:
»So grob und unflätig spricht ein Kutschknecht, eines Christenmenschen ist solches unwürdig. Auch François hat Strafe verdient. Doch dies entschuldigt nicht Euer Vergehen. Mein Neffe, Ihr seid zu aufbrausend und heißblütig. Bei jeder kleinen Kränkung stürzt Ihr los wie ein Stier! Ihr müßt Euch ändern.«
Darauf ging er hinaus, ohne mir Milch und Honig wieder wegzunehmen. Doch wie ich später erfuhr, ließ er Barberine rufen, ihr kräftig die Leviten zu lesen.
»Ich muß mich geirrt haben«, stammelte Barberine zitternd. »Die beiden Krüge sehen einander so ähnlich!«
»Ach geh, Barberine, willst du mich belügen?« erwiderte Sauveterre, mit den Schultern zuckend. »Die Frauen denkenimmer nur mit dem Bauch, und du liebst Pierre, als wäre er dein eigen Fleisch und Blut.«
»Ein wenig ist er es ja auch«, sprach Barberine.
»Gewiß, gewiß!« stimmte Sauveterre zu und fuhr fort: »Kin der zu erziehen ist wahrlich ein verdrießliches Geschäft! Warum auch müssen die Männer heiraten! Das bedeutet doch nur, kurze Freuden sehr teuer zu bezahlen. Jetzt muß ich auch noch Samson auspeitschen, welcher gewißlich der liebenswerteste von den dreien ist, denn François hat eine böse Zunge, und Pierre ist ein Heißsporn, draufgängerisch und stolz wie ein Lord.«
»Aber er hat ein gutes Herz«, setzte Barberine hinzu.
»Das Herz kann nicht die Fehler entschuldigen.«
So bekam wegen des Honigtopfes auch Samson die Peitsche zu kosten, was ich bedauerte; doch zu meiner großen Freude – und auch zu der seinen – sperrte man ihn als Kerkergenossen zu mir in den Turm, damit er die gleiche Strafe verbüße, indes François, welchen man nicht mit uns zusammenzustecken wagte, für zwei Tage einsam und allein im Nordwestturm sitzen mußte, jedoch ohne vorher ausgepeitscht zu werden, da er mit meiner Maulschelle und dem Tritt in den Hintern schon genug
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