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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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befestigt war. Der kleine Mann
schleppte zudem einen abgewetzten Stoffkoffer, dessen Seitenflächen sich
wölbten.
    Gus und Sebastian, der Bürstenbinder,
die keine vierundzwanzig Stunden nach dem Tod von Gus’ Frau den üblichen
Geschäften nachgingen. Aber war das wirklich der Fall? Aus welchem Grund dann
dieser schwer aussehende Koffer?
    Das ungleiche Paar überquerte die
Straße und kam auf mich zu, wobei Gus grüßend eine Hand hob.
    »Es ist Miss McCone«, teilte er
Sebastian mit.
    »Gus«, sagte ich, »mein herzliches
Beileid wegen Molly.«
    Er schaute mich mit rotgeränderten
Augen an, und dabei sackten seine Wangen nach unten. »Danke, Miss McCone.«
    Sebastian trat ein paar Schritte näher
und legte eine Hand auf meinen Arm.
    »Wie geht es Ihnen?« erkundigte ich
mich.
    Sein Gesicht, vernarbt und verunstaltet
durch die Explosion, die ihm das Augenlicht geraubt hatte, verzerrte sich. »Gar
nicht gut. Heute ist ein schrecklicher Tag.« Und zu Gus gewandt, fügte er
hinzu: »Warum läßt du dir nicht von Tim den Schlüssel geben? Miss McCone kann
mich nach oben bringen.«
    Gus nickte und ging mit seinem Koffer
die Treppe zur Haustür hinauf.
    Ich fragte Sebastian: »Wie haben Sie
ihn dazu gebracht, zu arbeiten — heute, wo Molly noch keinen Tag tot ist?«
    Sebastian ordnete die Besen unter
seinem Arm. »Wir arbeiten nicht richtig. Und ich habe ihn allein
hinaufgeschickt, damit ich Ihnen berichten kann, was passiert ist.«
    »Was konnte nach gestern abend noch
passieren?«
    »Eine Menge. Und es ist wirklich eine
verdammte Schande!« Sein Gesicht zeigte ein zorniges Rot, gegen das die Narben
weiß abstachen. »Heute vormittag mußte Gus zum Verhör auf die Polizeiwache. Sie
waren sehr anständig zu ihm, haben ihn sogar mit dem Wagen abgeholt und wieder
zurückgebracht. Aber als sie ihn vor dem miesen Loch absetzten, wo er wohnt,
standen alle seine Sachen aufgestapelt neben der Eingangstür.«
    »Was?«
    »Ja. Das Luder, von dem er das Zimmer
gemietet hat, sah den Bericht über Molly in den Frühnachrichten im Fernsehen.
Sie sagte, es täte ihr ja sehr leid, aber sie könnte ihn daraufhin nicht mehr
bei sich behalten. Behauptete, Molly sei von der Mafia umgebracht worden, und
Gus käme als nächster dran, daher wollte sie ihn nicht mehr in ihrem Haus
haben.«
    »Um Himmels willen!«
    »Aber in Wirklichkeit wollte sie das
Zimmer nur für mehr Geld vermieten. Gus hat sehr lange dort gewohnt und
bezahlte bei weitem nicht so viel, wie man heute dafür bezahlen müßte. Von
wegen, daß es ihr leid tut!« Er gab einen Laut des Unwillens von sich.
    »Und was hat Gus gemacht?«
    »Er ist zu mir gekommen, ins
Blindenzentrum. Was hätte er sonst tun sollen? Er hat keine anderen Freunde.«
    »Ich denke, er hat doch noch ein paar.«
    »Sicher, da sind die Männer, mit denen
er Domino spielt, aber die kennt er nur nach dem Vornamen. Nein, außer mir hat
er jetzt niemanden mehr. Es ist eine Schande, wenn jemand über vierzig Jahre in
der Gegend wohnt und keine Freunde hat und wenn man ihn schließlich noch aus
seinem. Zimmer schmeißt, einen Tag, nachdem seine Frau umgebracht worden ist.
Das ist wirklich eine verdammte, herzlose Stadt!« Sebastian nahm ein Taschentuch
und wischte sich damit über die Stirn. »Das macht mich verdammt wütend!«
    »Jedenfalls«, fuhr er nach einer Weile
fort, »wir haben ihm im Blindenzentrum erst mal etwas zu essen gegeben, weil
Gus nicht in der Lage ist, sich selbst anständiges Essen zuzubereiten. Dann
rief Mr. Clemente — Herb Clemente, er ist unser Direktor — bei der Polizei an
und fragte, ob Gus vorläufig in Mollys Wohnung bleiben kann. Die Polizei hatte
nichts dagegen; sie hat gesagt, daß sie dort mit ihrer Arbeit fertig ist. Heute
vormittag ist ein Polizist dort gewesen und hat alles durchsucht, aber er ist
bis mittag fertig gewesen.«
    »Daher also der Koffer!«
    »Ja. Gus hat seine anderen Sachen erst
mal im Zentrum zurückgelassen. Ich sagte, ich würde mitkommen, um unterwegs ein
paar Bürsten auszuliefern. Es wäre schlimm gewesen, wenn er allein in die
Wohnung hätte gehen müssen.«
    »Sie sind wirklich ein guter Freund für
ihn.«
    »Nicht der Rede wert. Gus ist zu mir
verdammt gut gewesen, und ohne ihn könnte ich nichts anfangen. Was halten Sie
davon, wenn wir jetzt reingehen? Er ist wahrscheinlich inzwischen schon oben.«
    Ich nahm seinen Arm, und wir gingen
hinauf in den ersten Stock, wobei sich Sebastian schwer auf mich stützte.
    Gus stand auf dem blauen Teppich,

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