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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Heim akzeptiert, wenn auch mit gewisser Zurückhaltung.
    Ich folgte ihm, warf einen Blick ins
Bad und runzelte die Stirn wegen der nassen Handtücher, die dort auf dem Boden
verstreut lagen. Blonde Haare verstopften das Waschbecken und der Spiegel hatte
weiße Flecken von der Zahnpasta. Das Zimmer lag im Dunkeln, meine neuen
Vorhänge waren zugezogen. Ich riß an der Schnur und erwartete, Linnea auf dem
Bett liegend vorzufinden, aber das Tageslicht, das hereinströmte, fiel
lediglich auf zerknülltes Bettzeug! Meine Freundin schien meinen Rat angenommen
und einen Spaziergang unternommen zu haben — aus gutem Grund, denn hier sah es
alles andere als gemütlich aus. Auf allen Sitzmöbeln lagen Kleidungsstücke, auf
den Regalen standen Gläser und die Tische waren voll überquellender
Aschenbecher, Weinflaschen und weiteren Gläsern. So schlimm hatte es allerdings
heute früh noch nicht ausgesehen!
    Ich seufzte und ging in die Küche, um
mir Wein zu holen. Überall stand schmutziges Geschirr herum, sogar auf dem
Boden. Ich hatte in den letzten Tagen viel zu tun gehabt und keine Zeit zum
Abspülen. Aber andererseits war ich nicht lange genug zu Hause gewesen, um so
viel Geschirr benützen zu können. Ich schob eine fettige Bratpfanne zur Seite
und stellte den Karton mit dem Katzenfutter ab, dann öffnete ich den alten,
elektrischen Eisschrank, der in die Wand eingebaut war, und schaute mit
düsterer Miene hinein. Linnea hatte nicht nur alles Geschirr benützt, das in
der Wohnung vorhanden war, sondern auch den gesamten Weinvorrat ausgetrunken.
    »Ach, du meine Güte!« entfuhr es mir
voll Überdruß. Ich schloß die Eisschranktür, nahm etwas Futter für den Kater
aus dem Karton und ging damit wieder hinüber ins Wohnzimmer. Nach einem wenig
erfolgreichen Versuch, das Bett in Ordnung zu bringen, nahm ich meine
Handtasche und verließ das Chaos.
    An der Haustür fiel mir ein, daß ich
eigentlich gar nicht wußte, wohin ich wollte. Also setzte ich mich auf die
Treppe vor dem Haus, stützte das Kinn auf beide Hände und schaute zu, wie die
Busse bei der Haltestelle vorne an der Ecke ihre Fahrgäste ausspien. Ich mußte
nachdenken; redete mir ein, daß ich nachdenken mußte.
    Aber worüber nachdenken? Linnea
Carraway, meine älteste und beste Freundin, hatte sich in eine abstoßende*
selbstsüchtige Schlampe verwandelt. In der Phase der Depression, die ihrer
Scheidung folgte, war sie so weit von der normalen Bahn abgekommen, daß ich
allen Ernstes darüber nachdachte, ob nicht sie es war, die mit der
abgeschnittenen Vorhangschnur in irgendeinem Zusammenhang stand. Und nicht
einmal die schönsten Erinnerungen an jene unbeschwerten Tage, als wir
miteinander in San Diego aufgewachsen waren, konnten die Tatsache verscheuchen,
daß Linnea nicht mehr wiederzuerkennen war.
    Dennoch behielten diese Erinnerungen
die Oberhand, während ich auf der Treppe vor dem Haus saß. Linnea war schon
meine Freundin gewesen in jenen längstvergangenen Tagen, als wir die Karten
nach unserer Zukunft befragt hatten, und tief im Inneren war ich ihr noch immer
liebevoll verbunden.
    Meine Gedanken kehrten zurück nach San
Diego, in mein Zimmer in dem alten, großen Haus meiner Eltern, zu einer wesentlich
jüngeren Linnea, die im Schneidersitz auf dem Boden saß und eine Patience
legte. Ihr weizenblondes Haar zu zwei Zöpfen geflochten, ihr hübsches Gesicht
war angespannt vor Konzentration, als sie im Licht der Nachttischlampe saß und
mit großen Kinderaugen die Karten anflehte, sie mögen ihr sagen, daß alles gut
ausgehen würde.
    Das war es, worum es dabei ging: Man
stellte den Karten eine Frage. Wenn die Patience aufging, lautete die Antwort ›Ja‹.
Ging sie nicht auf, war die Antwort ›Nein‹. Und die Frage lautete in jenen
Tagen fast immer: ›Liebt er mich?‹
    Nun, der ›er‹, um den es bei Linneas
Fragen gegangen war, hatte sie geliebt, wenigstens eine Weile. Er hatte sie
geheiratet und ihr zwei Kinder gemacht, doch dann hatte er sie verlassen — das
alles in fünf kurzen Jahren. Als die Scheidung endlich ausgesprochen war, hatte
Linnea die beiden Kinder zu ihrer Mutter gegeben und war zu mir gekommen, zu
ihrer besten Freundin, um Hilfe zu suchen bei ihrem Bemühen, das, was von den
Trümmern ihres Lebens übriggeblieben war, wieder zusammenzusetzen. Verdammt!
Wie konnte ich sie da im Stich lassen?
    Im Gegensatz zu damals war ich jetzt
die Stärkere, diejenige, die ihr Leben genau nach ihren Vorstellungen
durchgesetzt hatte. Und

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