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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Linnea? Sie hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich,
hatte die zwei Kinder, die noch nicht zur Schule gingen, zu der Großmutter
abgeschoben, und einen waschechten Nervenzusammenbruch erlitten angesichts der
Tatsache, daß die Unterstützung durch ihren Exgatten in drei Jahren auslaufen
würde, zu einem Zeitpunkt also, da sie sich nach Ansicht des Scheidungsrichters
selbst würde versorgen können.
    Seit Wochen predigte ich ihr: ›Schau,
drei Jahre sind eine lange Zeit. Bis dahin kannst du zum Beispiel ein Diplom
auf einer Handelsschule erworben haben, du kannst Buchhalterin werden oder
sogar Polizistin!‹
    Aber Linnea, die es seit ihrer Hochzeit
gewohnt war, andere für sich sorgen zu lassen, erschienen die drei Jahre als
viel zu kurz: Sie widersprach meinen Vorschlägen nicht, aber sie saß einfach da
und starrte mich an, als rede ich in einer fremden Sprache mit ihr, und danach
langte sie nach der am nächsten stehenden Flasche. Sie entschied sich für den
Alkohol, ließ ihre Kleidungsstücke dort auf den Boden fallen, wo sie sie
ausgezogen hatte, brannte mit ihren Zigaretten Löcher in meine Möbel und
brachte mein ganzes Leben durcheinander. Ich konnte nicht begreifen, was aus
meiner mutigen, unabhängigen Freundin geworden war.
    Dabei war Linnea früher immer diejenige
gewesen, welche die anderen führte, einer von jenen Menschen, die alles auf
Biegen und Brechen durchsetzen. Als wir noch die höhere Schule besuchten, war
sie für ein Wochenende per Anhalter nach Los Angeles getrampt, um einen
Rockstar zu sehen — und es war ihr gelungen, ihn zu einem Besuch in San Diego
zu überreden, wo er ein Wohltätigkeitskonzert zugunsten unserer Schule gab. Sie
war die erste in unserer Klasse gewesen, die allein in den Sierras Wanderungen
unternahm, die sich als Fallschirmspringerin versuchte und ein Rezept für die
Pille bekam. Und während wir anderen nach dem Examen langweilige Berufe
ergriffen, als Sekretärinnen, Verkäuferinnen, oder, wie in meinem Fall, beim
Sicherheitspersonal einer Wach- und Schließgesellschaft, gelang es Linnea,
einen Job als Empfangsdame bei einer Fernsehstation zu ergattern. Zwei Jahre
danach war sie der erste weibliche Moderator des Senders für die Tagesschau.
Ihre Reportagen waren wie ihr persönlicher Stil: entschieden, mutig und
entschlossen.
    Als sie dann den Profifootballer Jim
Carraway kennenlernte, fanden wir alle, daß die beiden großartig
zusammenpaßten. Jim war stark, lebhaft und vielleicht ein wenig dominierend — genau
wie Linnea. Die Karten sagten ›Ja‹, soweit es Jim betraf, und Linnea heiratete
ihn.
    Und jetzt, fünf Jahre später, hatte das
Scheitern dieser Ehe aus ihr ein verletztes, unentschlossenes Wesen gemacht,
das Angst hatte vor seinem eigenen Schatten. Sie suchte im Spiegel nach nicht
vorhandenen Fältchen, redete dauernd davon, daß sie — mit ihren knapp fünfzig
Kilo — ›fetter und unförmigen sei als Jims neue Frau. Sie beklagte sich
darüber, daß ihre kleinen Mädchen den Vater mehr liebten als sie und sich
zweifellos dafür entscheiden würden, bei ihm zu leben, sobald sie in das Alter
gekommen waren, daß ihnen diese Entscheidung zustand. Und sie befürchtete, daß
sie nie wieder einen passenden Job finden würde — wer wäre schon bereit,
jemanden zu engagieren, der so ›dumm und töricht« sei wie sie?
    In den letzten Wochen hatte Linnea in
der Überzeugung, daß es keine Lösung gab für ihre Probleme, angefangen, sich
mit Alkohol zu betäuben. Stunden der Trunkenheit wechselten mit Perioden von
geradezu manischer Aktivität. Sie lehnte meine Hilfe ab, aber auch die Hilfe
von Psychiatern, die mit Fällen wie dem ihren berufliche Erfahrung hatten, und
ich wußte nicht, was ich ihr noch vorschlagen konnte. Also ließ ich es zu, daß
sie auf meinen Nerven herumtrampelte, und fühlte mich wütend und schuldbewußt
zugleich.
    Einen Entschluß faßte ich auf der
Stelle: Ich würde mich durch sie nicht von meinem Glas Wein abhalten lassen.
Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, alkoholische Getränke zu Hause
vorrätig zu haben, da sie sich ohnehin genügend Stoff beschaffte? Also ging ich
hinüber in den Albatroß-Laden.
    Mr. Moe war in ein Gespräch mit einem
Kunden verwickelt. Der Kunde, ein großer, südländischer Typ mit buschigem,
schwarzem Schnauzbart, warf einen Blick auf mich.
    »Ah, Miss McCone«, rief Mr. Moe. »Wie
geht’s?«
    »Gut, danke.«
    »Kennen Sie Mr. Clemente?« Er nickte in
Richtung auf seinen

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