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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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göttlichen,
übernatürlichen Kraft vorhergesehen.«
    »Daraus schließe ich, daß Sie ihr nicht
glauben.«
    Neverman warf einen Blick auf den
Marihuanastummel, der ausgegangen war, dann legte er ihn mit bedauernder Miene
in den Aschenbecher. »Natürlich nicht. Ich habe fünf Jahre bei dieser Frau
gewohnt. Das Ganze ist nichts weiter als ausgemachter Humbug.« Er schaute mich
lauernd von der Seite an und fügte hinzu: »Sie haben nicht zufällig einen Joint
bei sich, wie?«
    Marihuana gehörte nicht zu den Dingen,
die ich normalerweise mit mir herumtrug. »Leider nein.«
    »Hab’ ich mir gedacht. Eine Freundin
von ihr hat sowas natürlich nicht.«
    »Ich bin nicht unbedingt eine Freundin
von ihr«, warf ich rasch ein. »Aber nach dem, was ich über sie weiß, wundert es
mich, daß sie mit Ihnen verheiratet ist. Sie muß doch wesentlich älter sein.«
    »Fünfzehn Jahre. Ich bin vierzig, und
sie ist fünfundfünfzig, aber sie sagt immer, es sind nur zehn Jahre.«
    »Wie kam es dazu, daß Sie sie
heirateten?« .
    Er zuckte mit den Schultern. »Das Geld.
Sie hatte etwas Geld, und ich konnte es dringend brauchen.«
    »Ich hätte nicht gedacht, daß man vom
Wahrsagen reich werden kann.«
    »Wird man auch nicht — jedenfalls meistens
nicht. Aber Anya hat eine kleine Erbschaft gemacht. Ich dachte, wenn ich sie
heirate, kann ich das Geld nutzbringend investieren. Doch da habe ich mich
geirrt. Die ist schlimmer als der schlimmste Geizkragen.«
    »Wofür wollten Sie das Geld investieren?«
    »In mein Geschäft. Ich wollte eine
eigene Spedition eröffnen. ›Nevermans Spedition — vom Atlantik zum Pazifiks so
wollte ich sie nennen. Wenn sie mir das Geld gegeben hätte, wäre ich längst
reich.«
    »Sie meinen, damit wären Sie reich
geworden?«
    »Das können Sie zweimal sagen.«
Nevermans Gesicht verzerrte sich in plötzlichem Zorn, und er schlug sich mit
der rechten Faust auf den Schenkel. »Der Teufel soll dieses blöde Luder holen!
Sie spart das Geld für schlechte Zeiten, sagt sie immer. Und ich wohne hier wie
irgendsoein verdammter Pennbruder, statt meine eigene Firma zu haben. Das muß
bald anders werden — sehr bald.«
    »Aber wie sind Sie eigentlich hier
gelandet?« fragte ich ihn.
    Sein Blick irrte verschleiert ins
Leere. »Hat Ihnen Anya das nicht erzählt?«
    »Nein«, log ich.
    »Sagen wir, ich habe vor einiger Zeit
ein paar Fehler gemacht. Ich möchte jetzt nicht davon reden. Aber eines kann
ich Ihnen sagen: Es ist immer noch besser, so zu leben, als bei ihr mit ihren
Wachsvögeln und dieser verdammten Krähe. Zuletzt habe ich es zwei volle Jahre
bei ihr ausgehalten, dann konnte ich es nicht mehr ertragen. Da ist selbst das
Gefängnis noch besser.«
    »Das Gefängnis?«
    »Nur so ‘ne Redensart.« Er wich meinem
Blick aus.
    »Und was machen Sie hier?«
    »Ich bin das Mädchen für alles. Ich
fahre den Lastwagen und tu’ auch sonst alles, was sie von mir verlangen. Haben
Sie das Fresko über dem Portal gesehen?«
    »Ja.«
    »Das ist von mir.« Einen Augenblick
lang schaute er selbstgefällig drein. »Das hab’ ich gern gemacht. Aber Sie
sollten die Arbeiten sehen, die ich da oben habe machen müssen. Ich bin noch
lange nicht fertig damit, und es ist verdammt schwierig.«
    »Warum denn?«
    »Wegen dem Feuer, das es hier gegeben
hat. Der ganze Dachstuhl ist ausgebrannt. Ich muß nach und nach einen neuen
einziehen, und dafür bekommen wir keine Unterstützung aus Bundesmitteln.«
    Ich erinnerte mich vage daran, daß das
Kloster St. Lukas an das Blindenzentrum verkauft worden war, nachdem ein Feuer
einen Teil des Kirchenschiffs zerstört hatte. Es überraschte mich, daß die
Arbeiten daran nicht schon längst abgeschlossen waren. Um aus diesem
deprimierenden, kleinen Raum entkommen zu können, fragte ich: »Kann ich mir die
Kirche mal anschauen?«
    »Sicher, warum nicht?« Er stand auf und
streckte mir seine Hand hin, um mir auf die Beine zu helfen. Im Kerzenlicht sah
er weniger bleich und elend aus. Ich konnte durchaus verstehen, daß er auf eine
Frau wie Madame Anya einen gewissen Reiz ausübte.
    Die Luft oben im Vestibül war feucht,
das Licht so düster wie in Nevermans Zimmer. Er tastete an der Wand entlang und
fand einen Lichtschalter. Danach betrat ich das Hauptschiff der Kirche.
    Im Halbdunkel konnte ich die Umrisse
des Kirchengestühls erkennen. Auf den Seiten gleißten Buntglasfenster. Gegen
die Mitte zu, wo der Altar gestanden haben mußte, war alles dunkel.
    Ich ging vorsichtig den

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