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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Mittelgang
entlang, fühlte plötzlich einen kühlen Luftstrom und blieb stehen. Neverman
stieß gegen mich. Ich schaute hinauf zum Dach und sah Sterne und tiefhängende
Wolken.
    »Hier ist das Dach abgebrannt.«
Nevermans Atem fühlte sich warm an meinem rechten Ohr an.
    Ich trat einen Schritt von ihm zur
Seite weg. »Gibt es hier kein Licht?«
    »Nur über dem Altar. Das Feuer hat
einen Großteil der Leitungen zerstört.« Er richtete seine Taschenlampe auf das
Dach und ließ das Licht an den verkohlten Balken entlanghuschen.
    »Warum ist das nicht schon längst
repariert worden?« fragte ich. »Das Zentrum ist doch schon ein paar Jahre
hier.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich sagte
es schon, das Zentrum bekommt dafür kein Geld vom Staat. Jetzt ist Herb auf den
Gedanken gekommen, daß ich das Dach reparieren könnte. Das wird eine verdammte
Arbeit.«
    Die Dunkelheit machte mich nervös.
»Warum schalten Sie nicht das Licht an, damit ich den Altar sehen kann?«
    »Wozu brauchen wir denn Licht?« Er
richtete den Schein der Taschenlampe auf mein Gesicht, und ich blinzelte und
stolperte rückwärts auf die nächste Reihe des Kirchengestühls zu.
    Neverman senkte die Taschenlampe, hielt
mich an beiden Händen fest und zwang mich dazu, daß ich mich auf die Bank
setzte. In dem nach oben gerichteten Strahl der Taschenlampe sah sein mageres
Gesicht aus wie ein Totenschädel mit Schnurrbart. Dann bückte er sich zu mir
herunter.
    »He, wissen Sie«, zischelte er leise,
»Sie sind wirklich eine verdammt hübsche Lady.«
    Im Gegensatz zu Clementes Schmeichelei
erschreckte mich Nevermans Kompliment.
    Er ließ einen meiner Arme los, schob
den Ärmel meines Pullovers nach oben und begann meinen anderen Arm zu
streicheln. Seine Fingernägel waren lang und kratzten auf meiner Haut.
    »Hören Sie auf damit, Jeffrey«,
protestierte ich entschieden.
    »Na, hübsche Lady, wie wär’s? Sie und
ich, wir kämen ganz gut miteinander zurecht, glaube ich.«
    Ich zog meine Hand weg und schob den
Ärmel wieder nach unten. »Das glaube ich nicht.«
    Er stieß einen Laut des Unwillens aus
und erhob sich. »Sie sind vielleicht nicht gerade Anyas beste Freundin, aber
ihr zwei wärt ein gutes Paar.«
    Erleichtert darüber, daß meine ruhige
Erwiderung ihre Wirkung nicht verfehlt hatte, erhob ich mich ebenfalls. »Kann
ich jetzt den Altar sehen?«
    Er zuckte wütend mit den Schultern und
ging durch den Mittelgang voraus. Bald darauf schimmerte die erhöhte Plattform
in bleichem Licht. Es wurde immer heller, bis es beinahe blendete.
    »Ein Dimmer«, erklärte Neverman. »Wahrscheinlich
hat man damit die Messen dramatischer gestaltet. Können Sie sich Anya mit so
etwas vorstellen? Ja, einen Dimmer könnte sie gut gebrauchen.«
    Das Licht auf dem ehemaligen Altar
wurde wieder schwächer.
    »Dein Leben ist sehr unglücklich
gewesen, meine Liebe«, zitierte er mit rauher Stimme, die bemerkenswert an
seine Frau erinnerte. »Aber...«
    Das Licht wurde ein wenig heller.
    »Aber ich sehe große Schwierigkeiten.
Sehr große Schwierigkeiten.«
    Es wurde noch heller.
    »Liebes, ich kann diese Schwierigkeiten
kaum beschreiben. Aber...«
    Jetzt wurde das Licht wieder ganz hell.
    »Sie können mit Hilfe rechnen. Ich
werde für Sie beten, meine Liebe. Und Ihnen mit meinen Wachsvögeln das Geld aus
der Tasche ziehen.«
    Es hätte komisch geklungen, wenn sein
Zorn nicht so fanatisch und haßerfüllt gewesen wäre. Ich ging durch den
Mittelgang und trat zu ihm neben den runden Lichtschalter im Vestibül.
    »Hat Ihnen meine kleine Vorstellung
nicht gefallen?« fragte er spöttisch.
    »Nicht sehr. Ich — «
    Hinter uns öffnete sich das Portal.
Sebastian kam herein und tastete sich mit einem weißen Stock vorwärts.
    »Neverman! Bist du hier drinnen?«
    »Mein Gott!« murmelte Neverman. »Der
kommt mir vor wie eine Karikatur von Charles Addams.«
    Sebastian konnte die Bemerkung nicht
entgangen sein, aber er erwiderte ruhig: »Wer ist bei dir?«
    »Ich bin’s Sebastian«, sagte ich.
»Sharon McCone.«
    »Miss McCone! Wir treffen uns wirklich
an den unmöglichsten Orten.«
    »Und was willst du, Sebastian?« fragte
Neverman ungeduldig.
    »Jemand möchte dich am Telefon sprechen,
oben im Schlafsaal.«
    »Ach, wirklich? Und wer?«
    »Es hört sich an, als wäre es deine
Frau.«
    »Jesus Christus!« Er drehte wütend am
Lichtschalter, und die Kirche versank wieder im Dunkeln. Ohne ein weiteres Wort
stampfte er zur Tür hinaus.
    »Dieser Mann hat schreckliche

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