Frag die Toten
aufrichtig liebte, tat das doch, oder?
Aber vielleicht ging es ihr doch nicht ums Geld? Vielleicht glaubte sie ernsthaft an ihre Gabe? Ausgeschlossen war es nicht, dass sie hier war, weil sie ihm wirklich helfen wollte. Hieß ja nicht, dass sie tatsächlich irgendwelche übersinnlichen Fähigkeiten besaß. Vielleicht war sie einfach nur eine Spinnerin, die es gut meinte. Eine arme Irre, deren Visionen einfach das Produkt eines kranken Geistes waren.
Und dann gab es natürlich noch eine dritte Möglichkeit: Sie war echt.
Garfield hielt das zwar für am wenigsten wahrscheinlich, doch was war, wenn sie, aus ihm noch unbekannten Gründen, etwas wusste? Wollte er, dass sie zur Polizei ging?
Wollte er nicht.
Da schien es ihm noch am klügsten, sich anzuhören, was sie zu sagen hatte.
Als Keisha wieder Platz genommen und auch Garfield sich wieder ihr gegenübergesetzt hatte, sagte er: »Zunächst möchte ich mich entschuldigen, wenn ich vorhin etwas unhöflich war.«
»Ich bitte Sie. Ich verstehe durchaus, dass das, was ich tue, meine Gabe, für viele Menschen unbegreiflich ist.«
»Ja, also ich muss schon sagen, ich habe da meine Zweifel. Aber ich möchte auch unbedingt erfahren, was aus Ellie geworden ist. Ich liebe sie doch so sehr. Es sieht ihr gar nicht ähnlich, einfach so zu verschwinden. Das entspricht überhaupt nicht ihrem Charakter. Und Melissa nimmt es furchtbar mit.«
»Ist sie da?«, erkundigte sich Keisha.
»Im Moment nicht. Sie wohnt ja nicht hier. Die letzten beiden Tage hat sie hier übernachtet, aber heute Morgen wollte sie in ihre Wohnung zurück. Ich hole sie später wieder ab.«
»Sie ist noch ziemlich jung, um allein zu leben«, sagte Keisha.
»Als sie noch jünger war, wollte sie die Regeln, die wir aufstellten, nicht akzeptieren. Deshalb sind wir übereingekommen, sie solle einmal testen, wie es sich allein lebt.«
»Aha«, sagte Keisha. »Als ich sie im Fernsehen sah, hatte ich den Eindruck, sie sah aus –«
»Ja, sie ist schwanger.«
Keisha rang sich ein Lächeln ab. »Wie schön.«
Unwillkürlich verdrehte Garfield die Augen. »Ja, ganz toll. Ich möchte aber eigentlich nicht über Melissa reden. Wenn Sie mir etwas über Ellie sagen können, dann raus damit. Wenn ich mir Ihre Vision anhören soll, dann legen Sie los.«
»Ich habe nicht unbedingt den Eindruck, dass Sie sehr empfänglich sein werden für das, was ich Ihnen vielleicht zu sagen habe.«
Er schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Reden Sie.«
»Es gibt da vorher noch etwas
anderes
, über das wir reden müssen.«
»Da haben wir’s.«
»Wie bitte?«
»Darauf warte ich schon die ganze Zeit. Was kostet mich diese Teilhabe an Ihrer kleinen Vision?«
Keisha nahm eine Pose großer Langmut ein. »Was machen Sie beruflich, Mr. Garfield?«
»Ich arbeite bei Home Depot.«
»Und bekommen dafür ein Gehalt?«
»Allerdings.«
»Sie brauchen bestimmt ein umfangreiches Wissen, um dort zu arbeiten. Sie müssen sich mit so vielem auskennen. Mit Farben und Holz und Installationen und allen möglichen Geräten. Und den vielen verschiedenen Schrauben und Muttern und sonstigem Kleinkram. Habe ich recht? Sie werden nicht nur für Ihre Arbeit bezahlt. Sondern auch für Ihr
Wissen
. Für Ihre
Erfahrung
.«
»Und?«
»Bei mir ist das nicht anders«, erklärte Keisha. »Ich besitze eine Gabe, und ich biete sie Ihnen an, um Ihnen zu helfen. Das ist, was
ich
beruflich mache. Ich biete eine Leistung an. Mein Wissen, meine Erfahrung. Gegen eine Vergütung. Angenommen, Sie würden einen Privatdetektiv engagieren, der Ihnen bei der Suche nach Ihrer Frau hilft. Würden Sie von dem erwarten, dass er seine Zeit und seine Erfahrung ohne Gegenleistung zur Verfügung stellt?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Freut mich, das zu hören.«
»Und um welche Summe würde es sich da handeln, Ms. Ceylon?«, fragte er.
»Eintausend Dollar«, sagte sie ohne das geringste Zeichen von Verlegenheit.
Seine Augenbrauen gingen in die Höhe. »Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Ich halte das für eine angemessene Summe«, sagte Keisha.
Er überlegte. »Ich bin nicht reich.«
»Das verstehe ich«, sagte sie. »Und das habe ich auch berücksichtigt.«
»Es gibt also einen Staffeltarif? Sie sehen sich das Haus an und die Autos, die in der Einfahrt stehen, und wenn ein BMW dabei ist, geht der Preis automatisch in die Höhe? Was der Markt hergibt und so?«
Wieder schickte sie sich an aufzustehen. »Ich glaube, ich gehe jetzt, Mr. Garfield. Wenn Sie nichts
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