Frag die Toten
–«
»Wie klingt das?«, sagte er. »Sie gestatten mir einen Blick auf Ihre Vision, durchs Schlüsselloch sozusagen, und wenn ich den Eindruck gewinne, da ist was dran, dann gebe ich Ihnen fünfhundert Dollar. Wenn mich diese Information zu Ellie führt, kriegen Sie noch mal fünfhundert.«
Sie überlegte einen Moment und sagte dann: »Ich schildere Ihnen einige der ersten Eingebungen, die ich hatte. Wenn Sie mehr darüber hören wollen, wie die Bilder sich entwickelt haben, dann erzähle ich Ihnen alles, für den vollen Betrag von eintausend Dollar.«
Er stieß einen langen Seufzer aus. Was für einen Eindruck würde das wohl auf einen Außenstehenden machen? Seine Frau war verschollen, und er verhandelte mit dieser Keisha Ceylon, als ginge es um einen neuen Toyota. Aber noch hatte er sie nicht durchschaut. Deshalb war er vorsichtig. Allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass er bei dem Handel, den sie vorschlug, etwas zu verlieren hatte.
»Also gut«, sagte er.
»Das freut mich sehr«, sagte sie. »Nicht nur, weil wir zu einer zufriedenstellenden Einigung gekommen sind, sondern weil ich Ihnen wirklich sehr gerne helfen möchte.«
»Ja, schon gut.«
»Haben Sie irgendetwas von Ihrer Frau, das ich anfassen kann?«
»Wozu?«
»Es hilft.«
»Ich dachte, Sie hätten Ihre Vision schon gehabt. Ich kapier nicht, wozu Sie noch was von Ellies Sachen zum Befummeln brauchen.«
»Es ist Teil des Prozesses. Details, die in meiner Vision nicht so klar zu erkennen waren, werden vielleicht deutlicher, wenn ich etwas in der Hand habe, das der Person gehört, etwas, mit dem sie engen Kontakt hatte.«
»Was brauchen Sie denn?«
»Am besten wäre ein Kleidungsstück.«
»Ein Morgenmantel oder so was?«
Keisha nickte. Garfield seufzte, stand auf und ging nach oben. Gleich darauf kam er die Treppe wieder herab. In der Hand hatte er einen verwaschenen, abgetragenen rosa Morgenmantel.
»Danke«, sagte Keisha. Sie legte sich den Mantel auf die Knie und beide Hände darauf. Dann strich sie mit den Fingerspitzen über den Flanell und schloss die Augen.
Sekunden verstrichen, ohne dass sie ein Wort sagte. Schließlich holte Garfield sie aus ihrem tranceartigen Zustand zurück. »Was ist? Schlechter Empfang hier oder was? Wollen Sie vielleicht lieber rausgehen? Steigert vielleicht die Signalstärke noch mal um ein paar Striche.«
Keishas Augen klappten auf. Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas Verächtliches. »Ist das alles nur ein Jux für Sie, Mr. Garfield? Ihre Frau wird vermisst, Sie haben keine Ahnung, was ihr zugestoßen ist, und Sie reißen Witze?«
»Tut mir leid. Machen Sie Ihr Ding.«
Sie schloss die Augen wieder, brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder einzustimmen. »Ich spüre etwas wie … ein Kribbeln.«
»Ein Kribbeln?«
»Ein bisschen so, wie wenn einem eine Gänsehaut über den Rücken läuft. Dann weiß ich, dass mich gleich eine Ahnung überkommt.«
»Und was ist das für eine Ahnung?«
Keisha öffnete die Augen. »Das war das Erste, was ich spürte, als ich diese Eingebung hatte, wegen Ellie, was mit ihr ist. Ihre Frau, sie …«
»Was? Meine Frau – was?«
»Sie friert«, sagte Keisha. »Ihre Frau friert. Sie friert ganz schrecklich.«
[home]
Neun
W ährend Keisha darauf gewartet hatte, ob er anbeißen würde, hatte sie sich überlegt, mit welchem Köder sie ihn locken konnte. Am besten war es wohl, erst mal ein großes Netz auszuwerfen, um es dann langsam zuzuziehen. Warum also nicht mit dem Wetter beginnen?
Es war Winter.
Alle
froren. Wo Ellie Garfield auch war, dass auch sie frieren würde, war keine allzu verwegene Annahme. Oder etwa doch? Am Abend ihres Verschwindens konnte sie ihren Wagen auch Richtung Süden gelenkt und sich auf direktem Weg nach Florida aufgemacht haben. Einen Tag später konnte sie dort angekommen sein und sich bereits eine leichte Sonnenbräune zugelegt haben.
»Was meinen Sie mit ›sie friert‹?«, fragte Garfield, der zum ersten Mal, seit sie hier war, so etwas wie Interesse zeigte. Hatte er angebissen?
»Nur, was ich gesagt habe. Dass ihr sehr kalt ist. Hatte sie eine Jacke an, als sie Donnerstagabend aus dem Haus ging?«
»Eine Jacke? Natürlich hätte sie eine Jacke angezogen. Ohne wäre sie bestimmt nicht rausgegangen. Sicher nicht um diese Jahreszeit.«
Keisha nickte. »Das ist das Signal, das ich empfange. Dass ihr kalt ist. Aber nicht nur, also nicht einfach nur kalt. Ich meine, sie ist völlig durchgefroren. Vielleicht war die Jacke nicht
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