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Frag die Toten

Frag die Toten

Titel: Frag die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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tun.
    »Danke«, sagte er und knüllte ihn zusammen.
    Keisha ergriff ihre Handtasche, stellte sie sich auf die Knie, vergewisserte sich, dass der obere Reißverschluss zu war, und schickte sich an aufzustehen.
    »Nein, gehen Sie noch nicht«, sagte Garfield.
    »Ich sehe keinen Sinn darin, noch länger zu bleiben, Mr. Garfield. Sie halten mich offensichtlich für eine Schwindlerin. Ich mache das schon lange genug, um zu erkennen, wenn jemand sich über meine Talente lustig macht. Es gibt eben Menschen, die so reagieren. Die meine Fähigkeiten für Hokuspokus halten. Wenn Sie auch zu dieser Erkenntnis gekommen sind, dann möchte ich Sie nicht länger stören.« Und dachte:
Komm ja nicht auf die Idee, dein Geld zurückzufordern, du Arschloch. Das musst du dir schon aus meiner Tasche holen.
    »Habe ich Sie beleidigt? Oh, das täte mir aber
sehr
leid.«
    »Sie haben mir gerade unterstellt, jemanden bereitstehen zu haben, der … der für mich
lügt
. Und dann wundern Sie sich, dass ich das als Beleidigung auffasse?«
    Garfield lief noch immer auf und ab, bearbeitete noch immer den Morgenmantel, als sei er ein Klumpen Lehm, aus dem er etwas formen wollte. Keisha beobachtete ihn. Ihr wurde klar, dass er damit seine Gedanken in Gang brachte, mit diesen kleinen Spaziergängen im Wohnzimmer.
    »Sie sind sehr schlau, das muss man Ihnen lassen«, sagte er.
    Keisha schwieg. Langsam ging ihr ein Licht auf. Es hätte ihr schon ein wenig eher aufgehen sollen.
    »Wirklich sehr schlau«, sagte er. Er trat an eines der Wohnzimmerfenster und spähte durch die Lamellen der Jalousie hinaus auf die Straße. Auf diese Art kam er schräg hinter Keisha zu stehen, und sie musste sich in ihrem Sessel drehen, um ihn sehen zu können. »Ich möchte mich entschuldigen. Vergessen Sie, was ich gerade gesagt habe. Erzählen Sie doch weiter. Ich würde gerne mehr über Ihre
Visionen
hören.«
    »Mr. Garfield, ich weiß nicht –«
    »Nein, nein, bitte, fahren Sie fort.«
    Keisha stellte ihre Tasche wieder auf den Teppich und legte ihre Hände neben ihre Schenkel auf das Sitzkissen. »Soll ich noch mal zum Eis zurückkehren oder das Thema wechseln?«
    »Sagen Sie doch einfach, was Ihnen durch den Kopf geht.«
    Ein ungutes Gefühl befiel Keisha. Mit jemandem wie Garfield hatte sie noch nie zu tun gehabt. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Eben noch schien er völlig das Interesse daran verloren zu haben, was sie ihm zu sagen hatte, und warf sie praktisch aus dem Haus, jetzt hatte er es sich aber anscheinend anders überlegt und wollte, dass sie weiterredete.
    Es ging ihm nicht darum, was sie zu sagen hatte, er wollte nur nicht, dass sie ging.
    Etwas war hier faul. Und sie glaubte auch zu wissen, was.
    Er war’s. Er hat’s getan.
    Das erklärte alles. Keisha hätte sich ohrfeigen können, dass es ihr nicht früher gedämmert war. Sie war doch schon lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass, wenn eine Ehefrau ermordet – oder vermisst – wurde, der Ehemann immer der Hauptverdächtige war. Der große Unbekannte war nur selten der Mörder. Menschen wurden von Menschen umgebracht, die sie kannten. Ehefrauen von Ehemännern. Ehemänner von Ehefrauen.
    Garfield hatte das Fenster verlassen und ging jetzt hinter Keishas Sessel vorbei. Sie würde sich umdrehen müssen, um ihn im Auge zu behalten.
    »Obwohl, wenn ich’s mir überlege, erzählen Sie mir was über das Eis.«
    Was sie irregeführt hatte, war die Pressekonferenz im Fernsehen gewesen. Sie war davon ausgegangen, die Polizei hätte nie zugelassen, dass er vor die Kameras trat, wenn sie ihn ernsthaft verdächtigt hätte, seine Frau aus dem Weg geräumt zu haben. Bestimmt hätten sie das verhindert, oder? Sie musste zugeben, er hatte seine Rolle gut gespielt. Diese Tränen hatten echt ausgesehen. Und wie er seine schwangere Tochter in den Arm genommen hatte, um sie zu trösten, auch das hatte verdammt glaubwürdig gewirkt.
    Keisha hatte sich nie vorgemacht, dass die Leute, die in ihr Beuteschema fielen, nur Unschuldslämmer waren. Wer etwas zu verbergen hatte, gab oft das beste Ziel ab. Solche Leute waren so scharf darauf zu beweisen, dass auch sie wie alle anderen völlig im Dunkeln tappten, dass sie die Chance freudig ergriffen, Geld hinzublättern, um zu hören, was Keisha zu sagen hatte.
    Sie sagten sich: Ich sehe doch ganz harmlos aus. Ein richtiger Mörder würde doch kein Geld für ein Medium ausgeben, oder?
    War das die Erklärung für Garfields anfängliche Bereitschaft, ihr

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