Frag die Toten
Mom bestimmt auch.«
Melissa senkte den Blick.
»Melissa«, sagte Detective Wedmore behutsam. »Können Sie mir sagen … Ist Ihre Mutter noch am Leben?«
Melissa murmelte etwas, aber so leise, dass Rona nicht verstehen konnte, was sie sagte. »Wie war das?«
»Nein.«
»Nein, sie ist nicht mehr am Leben?«
»Genau. Dad wird toben, weil ich es Ihnen gesagt habe.«
»Wir können dafür sorgen, dass er Ihnen nichts tut.«
»Er würde mir nie was tun, aber er wird stinksauer sein.«
»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Rona. »Aber ich nehme an, Sie tun es für Ihre Mutter.«
»Ja, so ungefähr.«
»Sagen Sie mir doch einfach, wo Ihre Mutter ist.«
»Im Auto.«
Die Ermittlerin nickte. »Ich nehme an, Sie meinen das Auto Ihrer Mutter. Den Nissan.«
»Genau.«
»Und wo ist das Auto, Melissa?«
»Am Grund des Sees.«
Wieder nickte die Ermittlerin. »Verstehe. Welcher See wäre das?«
»Ich weiß nicht, wie er heißt, aber ich glaube, ich könnte Sie hinführen. Es ist ungefähr eine Stunde mit dem Auto von hier, glaub ich. Aber, auch wenn ich Sie hinführe, ich weiß nicht, wo
genau
im See es ist. Und wahrscheinlich hat es inzwischen drübergefroren. Inzwischen ist es ja so kalt geworden. Ich weiß nur, dass sie im See ist. Im Auto.«
»Macht nichts, das ist kein Problem. Für so was haben wir Taucher.«
Melissa sah sie erstaunt an. »Die können auch ins Wasser gehen, wenn es saukalt ist? Und zugefroren?«
»Aber sicher, dafür haben sie ja diese Spezialanzüge, die sie warm halten.«
»Das könnte ich nicht. In eiskaltem Wasser schwimmen. Ich steig noch nicht mal in ein Schwimmbecken, wenn es nicht mindestens dreißig Grad hat.«
Wedmore schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Da geht’s mir wie Ihnen. Das muss schon brühwarm sein, bevor ich reingehe. Also, Melissa, Ihr Vater hat den Wagen im See versenkt?«
»Ja. Er hat den Wagen auf den See hinausgefahren, wo das Eis dünn war. Und hat gewartet, dass er einbricht.« Ihre Augen begannen wieder zu schimmern. »Und das ist dann auch passiert.«
»Woher wissen Sie das, Melissa? Hat Ihr Vater Ihnen erzählt, was er getan hat?«
»Ich hab’s gesehen. Ich hab gesehen, wie das Auto eingebrochen ist.«
»Wo waren Sie da?«
»Am Ufer. Ich hab zugesehen.« Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange. Sie biss sich auf die Lippe, um die Fassung nicht zu verlieren.
»Warum waren Sie da?«
»Dad musste ja irgendwie nach Hause kommen. Ich bin hinter ihm hergefahren.«
»Sie haben das alles gesehen?«
Melissa nickte.
»Melissa, kennen Sie eine Frau namens Laci Harmon?«
»Ich weiß, wer sie ist. Eine Arbeitskollegin von meinem Dad.«
»Wissen Sie, ob die beiden eng befreundet sind?«
Melissa senkte den Blick. »Ich glaube, sie haben eine Affäre.«
»Wie lange, glauben Sie, geht das schon mit den beiden?«
»Keine Ahnung. Ich hab sie nur dieses eine Mal gesehen.«
»Wann war das?«
»Vor einem Monat oder so. Ich fuhr gerade an einem Motel vorbei, und da seh ich das Auto von meinem Vater, und ich sehe sie vorne mit ihm drinsitzen. Sie haben rumgeknutscht.«
»Wie fanden Sie das?«
»Traurig. Und irgendwie … gruselig.«
»Haben Sie Ihrem Vater gesagt, dass Sie ihn mit dieser Frau gesehen haben?«
»Nein.«
»Und Ihrer Mutter? Haben Sie’s ihr gesagt?«
»Nein, ich hab’s ihr nicht gesagt. Ich habe ja gehofft, dass ich mich geirrt hab, dass ich das in Wirklichkeit gar nicht gesehen habe, deshalb wollt ich nichts sagen.«
»Glauben Sie, dass das der Grund ist, weshalb Ihr Vater Ihre Mutter umgebracht hat? Wegen dieser Frau? Dass er mit ihr durchbrennen wollte?«
Melissa blinzelte. »Was?«
Wedmore wiederholte die Frage und fügte hinzu. »So was kommt vor, wissen Sie? Ein Mann trifft sich mit einer anderen Frau, seine Frau kommt ihm auf die Schliche, es kommt zum Streit, und dann, tja, dann passiert’s. Plötzlich ist die Frau tot.«
»
Das
glauben Sie also? Dass es so war?«
»Es wäre eine Möglichkeit. Aber vielleicht wissen Sie ja, dass es anders war. Wissen Sie, warum Ihr Vater Ihre Mutter umgebracht hat?«
»Dad hat sie nicht umgebracht. Sie haben geglaubt, dass er’s war?«
Jetzt war es Rona Wedmore, die erstaunt dreinsah.
»Ist das nicht der Grund, warum Sie hier sind, Melissa?«
Die Tochter der Toten seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich muss wahrscheinlich von Anfang an erzählen.«
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Fünfzehn
A ls Keisha Ceylon das rosa Ding herabsausen sah, riss sie instinktiv die Arme hoch, um ihre Finger zwischen
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