Fragmente: Partials 2 (German Edition)
sowieso nichts Besseres vor.
»Nandita war Wissenschaftlerin«, erklärte Ariel schließlich. »Sie hat Experimente durchgeführt.«
»An Kira?«
»An uns allen.«
Ariels Haus war voller Pflanzkästen. »Ich wusste gar nicht, dass du eine Gärtnerin bist«, sagte Marcus, als sich seine Augen langsam auf das Zwielicht einstellten. Da so viele Patrouillen der Partials die Insel durchkämmten, hatte Ariel die Fenster so gut wie nur irgend möglich verdunkelt.
»Ich bin bei Nandita aufgewachsen«, antwortete sie. »Das Gärtnern ist eines der wenigen Gebiete, auf denen ich mich auskenne.«
»Hasst du sie deshalb so sehr?«
»Ich habe dir schon gesagt, warum ich sie hasse«, entgegnete Ariel leise.
»Die Experimente«, drängte Marcus. »Möchtest du dich dazu äußern?«
»Nein.« Sie blickte zur Straße hinaus. »Trotzdem ist es an der Zeit, darüber zu sprechen.« Sie schloss die Tür, und es wurde völlig dunkel im Raum.
Marcus wartete, bis sich seine Augen umgestellt hatten, und heftete den Blick auf Ariels Silhouette. »Welcher Art waren die Experimente? Warum haben die anderen Mädchen nichts darüber erzählt?«
Ihre Stimme wurde schärfer. »Weißt du, wie sehr ich mich bemüht habe, die ganze Vergangenheit hinter mir zu lassen? So zu tun, als würde ich ein normales Leben führen? Ich hatte einen Job, den ich nicht brauchte, nur damit ich tagsüber beschäftigt war, ich wurde zwei Jahre früher schwanger, als es das Zukunftsgesetz verlangte, ich jäte Unkraut in diesem albernen Garten, weil … weil es die Leute vor dem Zusammenbruch so gehalten haben. Ich habe alles Erdenkliche getan, ich bin sogar meinen eigenen Schwestern aus dem Weg gegangen …«
»Was ist passiert?«, bohrte Marcus. »Was war so übel?«
»Es begann mit dem Frühstück«, erzählte Ariel und richtete den Blick auf den Boden. »Nandita stand früh auf und machte uns Tee – Kamille, Pfefferminze und so weiter. Sie war ein Kräuterweib und kannte sich damit aus. Deshalb hatte sie alles Mögliche im Schrank und im Gewächshaus. Manches wie die Kamille durften wir anfassen. Dann gab es noch kleine Tropfflaschen mit Nummern, das waren wohl Probenbehälter. Die durften wir nicht berühren. Ich dachte mir damals nichts dabei, denn wir bekamen auch Ärger, wenn wir nur im Gewächshaus gespielt hatten. Also kam mir das gar nicht seltsam vor. Eines Morgens stand ich jedoch früh auf und ging hinunter, um beim Tee zu helfen, und da tröpfelte sie etwas aus den Fläschchen in den Tee. Ich hatte mir dabei immer noch nichts gedacht, doch als ich sie danach fragte, wirkte sie schuldbewusst – so schuldbewusst wie ich selbst, wenn ich etwas Verbotenes getan hatte. Sie spielte es herunter, es sei einfach nur eine neue Geschmacksrichtung oder so, aber diesen Gesichtsausdruck konnte ich nicht vergessen. Am nächsten Tag schlich ich wieder hinunter, um sie zu beobachten. Sie tat es abermals, dieses Mal mit anderen Tropfflaschen, und machte sich auf einem Klemmbrett Notizen. So ging das fast jeden Tag, und ich trank keinen Tee mehr.«
»Hast du dir das Klemmbrett angesehen?«
»Einmal, als ich ins Gewächshaus geschlichen bin. Sie hat es wohl bemerkt, denn ich habe es nie wieder zu sehen bekommen. Es waren nicht nur Notizen über den Tee, sondern auch über uns – wie schnell wir wuchsen, wie gesund wir waren, wie es um die Augen, das Gehör und so weiter bestellt war. Sie schlug uns oft Spiele vor, in denen es auf Koordination und Gedächtnis ankam, und nach dem Blick auf das Klemmbrett wollte ich auch bei den Spielen nicht mehr mitmachen. Sie hat nicht mit ihren Töchtern gespielt, sondern sie getestet.«
»Vielleicht hat sie einfach nur … eure Entwicklung verfolgt«, überlegte Marcus. »Ich weiß nicht genau, wie sich eine aufmerksame Pflegemutter verhalten müsste. Vielleicht ist das ganz normal.«
»Es war nicht normal«, widersprach Ariel. »Alles war ein Test, eine Studie oder eine Beobachtung. Sie spielte nicht Völkerball, sondern warf Bälle, um unsere Reflexe zu testen. Wir spielten nicht Fangen, sondern traten in Wettläufen auf der Straße gegeneinander an. Wenn eine von uns sich in den Finger schnitt oder das Knie aufkratzte, verband sie uns, begutachtete die Wunde aber vorher ganz genau.«
»Warum haben die anderen Mädchen nichts davon erwähnt?«, wunderte sich Marcus. »Ich habe ihnen viele Fragen über Nandita gestellt und sie gebeten, mir alles zu erzählen, was sie nur wussten. Über die Experimente haben sie kein
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