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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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während der Doktor seinen Tee trank und das Amtszimmer in den Glanz seines Lächelns tauchte, bemühte sich Schwester Dulling um gewichtige Worte, schwierige Wörter aus dem medizinischen Lexikon oder aus dem Shorter Oxford Dictionary, das sie in ihrer Schreibtischschublade aufbewahrte und in dem sie nachschlug, wenn sie ihre täglichen Berichte schrieb und Eindruck schinden wollte. Zu anderen Zeiten gebrauchte sie Wörter, die besser zu der verkleideten Bardame passten, die zugleich Krankenschwester war und die Wilden zähmen und mit ihnen reden konnte, sodass sie ihr folgten und gehorchten und Geschenke machten – einen Blumenstängel, einen leeren Briefumschlag, einen Schnürsenkel, ein Bild, das sie aus einer Illustrierten gerissen hatten, von richtigen Menschen, die in einem richtigen Haus lebten, wo die Türen und Fenster aufgehen und man genau weiß, wo der Schlüssel hängt, an einem Nagel in der Spülküche nämlich.
    An dem Nachmittag, an dem Bob und Toby Withers zu Daphne zu Besuch kamen, hatte Schwester Dulling ihre Patientin selbst angezogen, ihr einen Rock und einen Pullover von der Station gegeben, neue Strümpfe, ihre Weihnachtshose, die mit einem weißen Klebeband gekennzeichnet und aufbewahrt worden war, und einen Hut mit breiter Krempe, den einzigen, den sie in der Kleiderkammer finden konnte, um Daphnes Kopf damit zu bedecken, damit ihre Verwandten nicht über ihre Kahlheit erschraken und sich ängstigten.
    «Hier ist ein hübscher Hut für dich, Daphne. Damit siehst du wie ein Filmstar aus.»
    Daphne aus dem Totenzimmer sah zu dem hübschen Hut auf und sah nur seine braune Veranda und strohumsäumte Dachrinne und spürte die Schwere des Schnees, der jahrelang die ganze Nacht über auf das braune Dach gefallen war. Sie fühlte sich sicher unter dem Hut. Der Regen konnte nicht fallen, und ihre Mutter brauchte nicht in der Tür zu stehen und zu rufen:
    «Du freches Vöglein, komm rein, es regnet für und für.»
    Da lächelte Daphne, weil ihr einfiel, dass sie ein Spatz und dass ihr alles piepe war, und warf den Hut in die Ecke.
    Schwester Dulling schnalzte mit der Zunge.
    «Dein Vater wartet auf dich», sagte sie. «Du willst ihn doch nicht enttäuschen, nicht wahr? Er ist mit dem Zug gekommen.»
    Mit dem Zug gekommen? Wenn man mit dem Zug kommt, ist man immer enttäuscht, weil er einen nie dahin bringt, wohin man möchte, sondern immer weiter und weiter in die öde Welt der Sümpfe und Maimai-Büsche hinein, und drinnen hocken so viele Menschen, dass es dem Paradies das Kreuz bricht. Züge bringen einen ans Ende. Mein Vater ist enttäuscht, ob er mich sieht oder nicht, weil er in seiner Hütte im Sumpf sitzt und eine Sterbeerlaubnis in der Hand hält und ein Gewehr, mit dem er auf das erste Friedenszeichen schießen will. Wie es auf meinen Kopf schneit. Ich glaube, es gibt Sturm.
    «Komm, Daphne.»
    Schwester Dulling setzte Daphne den Hut wieder auf und führte sie in das Zimmer, in dem Bob Withers saß, angsterfüllt und müde, und mit den Knien wippte, weil das wenigstens eine Beschäftigung war.
    «Ich bin im Zimmer nebenan, falls Sie mich brauchen», sagte die Schwester mit ihrem schönsten Besucherlächeln.
    Daphne stand in einer Ecke des Zimmers und betrachtete den Mann, der auf dem Stuhl saß. Sein Gesicht war blass und grau, als wäre er viele Jahre lang durch Staub gewandert, sodass er sich in die Falten seiner Kleidung gesetzt hatte und seine Schuhe bedeckte und sich auf seinem Haar niedergelassen und es grau gemacht hatte. Er hat oben im Himmel gestanden, dachte sie. Und ist mit Wolken bedeckt. Er hat ein zerfallenes Haus aus Stein ausgefegt. Er hat keine Frau, die für ihn ausfegt und eine Schürze trägt, an die sich ihre Kinder klammern und in die sie hineinweinen können, wenn sie sich wehgetan haben. Ich wünschte, dachte sie, ich wünschte, er würde sich eine Bürste suchen und seinen Anzug wieder säubern. Und seine Schuhe putzen. Er sitzt da, schmutzig und grau, und leckt sich die Lippen und kann, wie es scheint, nicht sprechen.
    Wer ist er? Wartet er darauf, dass ich etwas sage?
    Sie presste die Lippen fest zusammen und setzte sich auf den Boden, nahm aber zuerst aus Höflichkeit ihren Hut ab, wie man es sie gelehrt hatte, als die Sonne schon früh am Himmel stand; und sie beobachtete das Gesicht des grauen Mannes. Als sie ihren Hut abnahm und hinlegte wie einen eingefassten Strohbrunnen, damit er den Sturm aus der Wolke auffing, sah sie, wie der Mund des Mannes aufging und

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