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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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ist, die ich liebe, und dass sie diejenige ist, die ich
will. Und dann wechseln wir das Thema. Zum Beispiel redet sie seit zwei Wochen
davon - hauptsächlich, denke ich mal, um mich in den Wahnsinn zu treiben -,
dass sie sich die Brüste machen lassen will. Ich könnte heulen, Richard, bei
ihr stimmt doch alles. Jedenfalls äußerlich. Es ist total irre. Aber sie sagt,
sie wird bald sterben, und sie fände es interessant, vor ihrem Tod noch zu
erleben, wie es ist, wenn man Busen hat. Sie sagt, es könnte ihr helfen, ein
Ziel zu haben, auf das sie hinsparen kann, jetzt, wo ...» Walter schüttelte den
Kopf.
    «Wo was.»
    «Nichts.
Sie hat davor etwas anderes mit ihrem Geld gemacht, etwas, das ich gar nicht
gut fand.»
    «Ist sie
krank? Gibt es ein medizinisches Problem?»
    «Nein.
Nichts Körperliches. Mit meint sie, glaube ich, in den
nächsten vierzig Jahren. So wie wir alle bald sterben.»
    «Mannomann,
das tut mir echt leid. Ich hatte ja keine Ahnung.»
    Ein
Navigationsfeuer in Katz' schwarzer Levi's, ein lange
untätiger, von einer fortgeschrittenen Zivilisation vergrabener Transmitter, entzündete sich zu neuem Leben. Statt ein schlechtes Gewissen zu
haben, wurde er steif. Oh, die hellseherischen Fähigkeiten des Schwanzes:
Binnen eines Herzschlags konnte er in die Zukunft schauen, und das Gehirn
musste hinterherhecheln und den unvermeidlichen Weg von okkludierter Gegenwart
zu vorherbestimmtem Ergebnis finden. Katz begriff, dass Patty mit den scheinbar
zufälligen Lebenswindungen, die ihm von Walter gerade beschrieben worden waren,
in Wahrheit willkürlich Symbole in ein Maisfeld getrampelt hatte, eine
Botschaft, die für Walter auf dem Boden unlesbar, für Katz aus großer Höhe
jedoch so klar war wie nur etwas. Es ist nicht
vorbei, es ist nicht vorbei . Die Parallelen zwischen seinem
Leben und dem ihren waren fast unheimlich: eine kurze Zeitspanne kreativer
Produktivität, gefolgt von einer größeren Veränderung, die sich als
Enttäuschung und Chaos erwies, gefolgt von Drogen und Verzweiflung, gefolgt von
der Einwilligung in einen stumpfsinnigen Job. Katz hatte angenommen, seine Lage
sei schlicht die, dass der Erfolg ihn kaputt gemacht hatte; wahr hingegen war
auch, wie ihm jetzt deutlich wurde, dass seine schlechtesten Jahre als Songwriter zeitlich genau mit seiner Entfremdung von den Berglunds zusammengefallen
waren. Es stimmte schon, in den letzten zwei Jahren hatte er nicht oft an Patty
gedacht, jetzt aber spürte er, in seiner Hose, dass das vor allem an seiner
Annahme gelegen hatte, ihre Geschichte sei vorbei.
    «Wie
kommen Patty und das Mädchen miteinander aus?»
    «Sie
sprechen nicht miteinander», sagte Walter.
    «Also
keine Kumpel.»
    «Nein, ich
sage doch, sie sprechen nicht miteinander. Beide wissen, wann die andere für
gewöhnlich in der Küche ist. Sie geben sich alle Mühe, einander aus dem Weg zu
gehen.»
    «Und wer
von beiden hat damit angefangen?»
    «Darüber
möchte ich nicht sprechen.»
    «Klar.»
    Auf der
Stereoanlage der Bahnhofsbar lief «That's What
I Like About You». Katz kam es so vor, als wäre es der perfekte
Soundtrack für das Bud-Light-Neonlogo, die falschen Bleiglaslampenschirme, das
strapazierfähige, polyurethanbeschichtete Schundmobiliar mit dem darin
eingelagerten Pendlerschmutz. Er war noch einigermaßen sicher davor, eines
seiner eigenen Lieder an so einem Ort gespielt zu hören, doch er wusste, dass
es nur eine graduelle, keine kategorische Sicherheit war.
    «Patty hat
beschlossen, niemanden unter dreißig zu mögen», sagte Walter. «Gegen eine ganze
Generation hat sie ein Vorurteil ausgebildet. Und da sie eben Patty ist,
witzelt sie gern darüber. Aber es ist doch ziemlich bösartig geworden und außer
Kontrolle geraten.»
    «Wohingegen
du von der jüngeren Generation recht angetan zu sein scheinst», sagte Katz.
    «Um ein
allgemeines Gesetz zu widerlegen, braucht es nur ein einziges Gegenbeispiel.
Ich habe mit Jessica und Lalitha mindestens zwei.»
    «Aber nicht
mit Joey?»
    «Und wenn
es zwei gibt», sagte Walter, als hätte er den Namen seines Sohnes nicht gehört,
«gibt es zwangsläufig noch viel mehr. Das ist die Voraussetzung für das, was
ich im Sommer machen möchte. Darauf vertrauen, dass die jungen Leute noch etwas
im Kopf und ein soziales Gewissen haben, und ihnen dann etwas zu arbeiten
geben.»
    «Hör mal,
wir sind da sehr verschieden, du und ich», sagte Katz. «Ich gebe nichts auf
Visionen. Ich gebe nichts auf Glauben. Und ich habe

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