Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
Vom Netzwerk:
hatte.
    «Du musst
dich für Januar einschreiben», sagte er zu ihr. «Fang auf dem Inver Hills
College an und Wechsel dann vielleicht nächstes Jahr an
die Uni.»
    «Okay»,
sagte sie.
    «Du hast
doch echt was drauf», sagte er. «Du kannst einfach nicht immer nur kellnern.»
    «Okay.»
Bedrückt schaute sie auf die Schlange, die sich vor ihrem Bus bildete. «Ich
mach's für dich.»
    «Nicht für
mich. Für dich. Wie du's versprochen hast.»
    Sie
schüttelte den Kopf. «Du willst doch bloß, dass ich dich vergesse.»
    «Das
stimmt nicht, überhaupt nicht», sagte Joey, obwohl es einigermaßen stimmte.
    «Ich werde
studieren», sagte sie. «Aber darüber vergesse ich dich nicht. Nichts kann mich
dazu bringen, dich zu vergessen.»
    «Schön»,
sagte er, «aber trotzdem müssen wir weiter herausfinden, wer wir sind. Wir
müssen uns beide noch entwickeln.»
    «Ich weiß
jetzt schon, wer ich bin.»
    «Aber
vielleicht täuschst du dich ja. Vielleicht musst du immer weiter -»
    «Nein»,
sagte sie. «Ich täusche mich nicht. Ich möchte mit dir zusammen sein. Mehr will
ich nicht in meinem Leben. Du bist der beste Mensch auf Erden. Du kannst alles
schaffen, was du willst, und ich kann für dich da sein. Du wirst viele Firmen
besitzen, und ich kann für dich arbeiten. Oder du kannst für die
Präsidentschaft kandidieren, und ich arbeite in deinem Wahlkampfteam. Ich
mache die Sachen, die sonst keiner machen will. Wenn du jemanden brauchst, der
das Gesetz bricht, mach ich's für dich. Willst du Kinder, ziehe ich sie für
dich groß.»
    Joey war
sich bewusst, dass er einen klaren Kopf brauchte, um auf diese ziemlich
alarmierende Erklärung zu antworten, doch leider war er noch ein wenig
zugedröhnt.
    «Ich will,
dass du Folgendes tust», sagte er. «Du sollst aufs College gehen. Für den Fall
nämlich, na ja», und das hinzuzufügen war unklug, «dass du für mich arbeiten
solltest, müsstest du eine Menge verschiedenartige Dinge wissen.»
    «Deshalb
habe ich doch gesagt, dass ich für dich studieren
werde», sagte Connie. «Hast du
mir nicht zugehört?»
    Nach und
nach erkannte er, was er in St. Paul noch nicht erkannt hatte, nämlich dass der
Preis von etwas nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich war: dass die
eigentliche Explosion der Zinsschuld seiner Highschool-Freuden noch vor ihm
liegen könnte.
    «Wir
stellen uns mal lieber in die Schlange», sagte er. «Wenn du einen guten Platz
willst.»
    «Okay.»
    «Außerdem
finde ich», sagte er, «dass wir uns wenigstens eine Woche lang nicht anrufen
sollten. Wir müssen wieder disziplinierter werden.»
    «Okay»,
sagte sie und ging gehorsam zum Bus. Joey folgte ihr mit ihrer Reisetasche.
Immerhin brauchte er nicht zu fürchten, dass sie ihm eine Szene machte. Nie
stellte sie ihn bloß, nie beharrte sie auf der Straße auf Händchenhalten, nie
klammerte, schmollte, tadelte sie. Sie sparte sich ihre gesamte Inbrunst bis
zu dem Moment auf, wo sie allein waren, darin war sie Spezialist. Als die
Bustüren aufgingen, durchbohrte sie ihn mit einem lodernden Blick, reichte dann
dem Fahrer ihre Tasche und stieg ein. Es gab kein Getue wie
Durchs-Fenster-Winken oder Kussgesichter-Machen. Sie steckte sich die Kopfhörer
in die Ohren und fläzte sich so tief in ihren Sitz, dass er sie nicht mehr sah.
    Auch in
den Wochen danach gab es kein Getue. Gehorsam unterließ es Connie, ihn anzurufen, und während das nationale Fieber zurückging und der
Herbst sich auf den Blue Ridge Mountains
mit heufarbenen Sonnenstrahlen und schweren Düften warmer Rasenflächen und
sich verfärbenden Laubs intensivierte, wurde Joey Zeuge vernichtender
Footballniederlagen der Cavaliers, trainierte
im Fitnesscenter und setzte etliche Bierpfunde an. Er suchte Kontakt zu
Wohnheimgenossen aus wohlhabenden Familien, die glaubten, die islamische Welt
müsse so lange mit Flächenbombardements überzogen werden, bis sie gelernt habe,
wie man sich benimmt. Er selbst war nicht rechts, fühlte sich bei denen, die es
waren, aber wohl. Afghanistan den Arsch aufzureißen entsprach zwar nicht genau
dem, was seine Erschütterung verlangte, aber es kam dem so weit nahe, dass es
ihm eine gewisse Befriedigung gewährte.
    Erst wenn
so viel Bier getrunken war, dass in größeren Runden das Gespräch auf Sex kam,
fühlte er sich isoliert. Seine Geschichte mit Connie war zu intensiv und merkwürdig - zu innig, zu sehr
mit Liebe verknäuelt -, als dass sie sich zum Prahlen eignete. Er verachtete
und beneidete seine Wohnheimgenossen

Weitere Kostenlose Bücher