Franzen, Jonathan
gleichermaßen wegen ihrer
gemeinschaftlichen Angeberei, ihrer zotigen Bekundungen, was sie mit den
schärfsten Puppen aus dem Jahrbuch machen würden oder vereinzelt,
stockbesoffen und scheinbar ohne Reue oder Folgen, mit diversen stockbesoffenen
Frauen an ihren Edelinternaten und Vorbereitungsschulen angeblich schon gemacht
hatten. Die Sehnsüchte seiner Wohnheimgenossen kreisten noch weitgehend um den
Blowjob, der offenbar allein für Joey wenig mehr als eine verklärte Wichserei,
ein Zeitvertreib auf dem Parkplatz in der Mittagspause war.
Die
Masturbation selbst war eine erniedrigende Zerstreuung, deren Nützlichkeit er
bei seinen Bemühungen, sich von Connie abzunabeln,
gleichwohl schätzen lernte. Sein bevorzugter Entladungsort war die
Behindertentoilette in der naturwissenschaftlichen Bibliothek, an deren
Vormerkschalter er 7,65 Dollar die Stunde dafür kassierte, dass er Lehrbücher
und das Wall Street Journal las und Naturwissenschaftsstrebern
gelegentlich einmal Texte holte. Dass er einen Studentenjob am Vormerkschalter
ergattert hatte, war ihm als weitere Bestätigung dafür erschienen, dass ihm ein
glückliches Leben vorherbestimmt war. Zu seinem Erstaunen besaß die Bibliothek
noch Druckwerke von so großer Seltenheit und so verbreitetem Interesse, dass
sie in einem abgetrennten Magazin aufbewahrt werden mussten und das Gebäude
nicht verlassen durften. Das alles konnte unmöglich innerhalb der nächsten
Jahre digitalisiert werden. Viele der vorgemerkten Texte waren in ehemals
gängigen Fremdsprachen geschrieben und mit aufwendigen Farbtafeln illustriert;
die Deutschen des neunzehnten Jahrhunderts hatten das Wissen besonders fleißig
katalogisiert. Es konnte der Masturbation sogar Würde verleihen, ein bisschen
jedenfalls, wenn man einen jahrhundertealten deutschen Atlas der Sexualanatomie
dafür zu Hilfe nahm. Er wusste, früher oder später würde er sein Schweigen
gegenüber Connie brechen
müssen, doch Abend für Abend, wenn er seine Gameten und prostatischen
Flüssigkeiten unter Einsatz der paddelförmigen Behindertenhähne in den Abguss
gespült hatte, beschloss er aufs Neue, noch einen weiteren Tag zu riskieren,
bis er schließlich einmal spät abends, am Vormerkschalter, genau an dem Tag,
als er fand, dass er wahrscheinlich einen Tag zu lange gewartet hatte, einen
Anruf von Connies Mutter
erhielt.
«Carol»,
sagte er liebenswürdig. «Hallo.»
«Hallo,
Joey. Du weißt wahrscheinlich, warum ich anrufe.»
«Nein,
eigentlich nicht.»
«Tja, du
hast unserer kleinen Freundin so ziemlich das Herz gebrochen, deshalb rufe ich
an.»
Mit
schlingerndem Magen zog er sich in die Ungestörtheit des Magazins zurück. «Ich
wollte sie heute Abend anrufen», sagte er zu Carol.
«Heute
Abend. Ach, wirklich. Du wolltest sie heute Abend anrufen.»
«Ja.»
«Warum
glaube ich dir das nicht?»
«Keine
Ahnung.»
«Nun, sie
ist schon ins Bett gegangen, es ist also gut, dass du nicht angerufen hast. Sie
ist ohne einen Bissen ins Bett gegangen. Um sieben.»
«Also
wirklich gut, dass ich nicht angerufen habe.»
«Das ist
nicht lustig, Joey. Sie ist sehr deprimiert. Du hast ihr eine Depression
verpasst, und du darfst sie nicht länger hinhalten. Verstehst du? Meine Tochter
ist kein Hund, den du an eine Parkuhr leinen und dann vergessen kannst.»
«Vielleicht
gibst du ihr ein Antidepressivum.»
«Sie ist
nicht dein Haustier, das du bei geschlossenen Fenstern auf dem Rücksitz lassen
kannst», sagte Carol; sie fand Gefallen an ihrer Metapher. «Wir sind ein Teil
deines Lebens, Joey. Ich finde, wir verdienen ein bisschen mehr als das Nichts,
das du uns hier zuteil werden lässt. Das ist für alle Beteiligten ein ganz
scheußlicher Herbst, und du bist abwesend.»
«Ich habe
eben meine Seminare und so weiter.»
«Zu
beschäftigt für ein fünfminütiges Telefonat. Nach dreieinhalb Wochen
Schweigen.»
«Ich
wollte sie wirklich heute Abend anrufen.»
«Lassen
wir mal das mit Connie», sagte Carol. «Lassen wir Connie mal einen Moment lang aus dem Spiel. Du und ich, wir haben fast zwei
Jahre lang wie eine Familie zusammengelebt. Ich hätte nie geglaubt, dass ich
das einmal sage, aber so allmählich bekomme ich eine Vorstellung davon, was
deine Mom deinetwegen durchgemacht hat. Im
Ernst. Bis zu diesem Herbst habe ich nicht begriffen, wie kalt du bist.»
Joey
richtete ein Lächeln reiner Bedrängnis an die Decke. An seinem Umgang mit Carol
hatte es immer etwas gegeben, was nicht ganz richtig war. Sie war das, was
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