Franzen, Jonathan
von einer Wut gepackt, deren spezifischer
Gegenstand sich nicht klar konturieren wollte. Der Übeltäter war rückblickend beinahe wie Bin
Laden, aber nicht ganz. Der Übeltäter war etwas Unergründlicheres, etwas
Nichtpolitisches, etwas strukturell Bösartiges, wie der Hubbel auf einem
Gehweg, dessentwegen man strauchelt und aufs Gesicht schlägt, wenn man in
aller Unschuld herumspaziert.
In den
Tagen nach dem n. September erschien Joey plötzlich alles extrem dumm. Dumm
war, dass ohne jeden ersichtlichen praktischen Grund «Nachtgebete der
Betroffenheit» abgehalten wurden, dumm war, dass sich die Leute dieselben
Katastrophenberichte immer wieder aufs Neue ansahen, dumm war, dass die Jungs
von der Chi-Phi-Verbindung an ihrem Haus ein «Unterstützungs»-Transparent
aufhängten, dumm war, dass das Footballspiel gegen die Penn State abgesagt
wurde, dumm war, dass so viele Leute das Gelände verließen, um bei ihren
Familien zu sein (und dumm war auch, dass in Virginia alle «Gelände» statt
«Campus» sagten). Die vier liberalen Studenten auf seinem Wohnheimflur führten
endlose dumme Dispute mit den zwanzig konservativen, als interessierte es
jemanden, was ein Haufen Achtzehnjähriger über den Nahen Osten dachte. Ein
dummes großes Trara wurde um die Studenten gemacht, die bei den Angriffen
Verwandte oder Freunde der Familie verloren hatten, als wären die anderen
schrecklichen Todesfälle, die ständig auf der Welt geschahen, etwa weniger
wichtig, und es gab dummen Applaus, als ein Kleinbus voller Oberschichtler
feierlich nach New York abfuhr, um den Ground-Zero- Arbeitern
Beistand zu leisten, als gäbe es in New York nicht genügend Leute dafür. Joey
wollte einfach nur, dass das normale Leben so schnell wie möglich wieder
einkehrte. Ihm war, als wäre er mit seinem alten Discman gegen eine Wand
gestoßen und hätte dabei den Laser von einem Stück, das er gerade noch mit
Vergnügen gehört hatte, auf ein anderes springen lassen, das er weder erkannte
noch mochte und auch nicht stoppen konnte. Schon bald war er so einsam und
isoliert und begierig nach vertrauten Dingen, dass er den ziemlich
schwerwiegenden Fehler beging, Connie Monaghan
grünes Licht zu geben, sich in einen Greyhound-Bus zu setzen und ihn in Charlottesville zu besuchen, womit er die Vorarbeiten eines Sommers, deren Ziel es
gewesen war, sie auf ihre unausweichliche Trennung vorzubereiten,
zunichtemachte.
Den ganzen
Sommer hatte er sich abgemüht, Connie zu vermitteln,
wie wichtig es sei, sich wenigstens neun Monate nicht zu sehen, damit sie ihre
Gefühle füreinander auf die Probe stellen konnten. Der Gedanke dahinter war,
dass beide voneinander unabhängig werden und herausfinden sollten, ob sie auch
als Unabhängige gut zueinander passten, doch für Joey war das ebenso wenig eine
«Probe», wie ein Chemie-«Experiment» an der Highschool Forschung war. Connie sollte mal schön in Minnesota bleiben, während er eine Karriere als
Geschäftsmann verfolgte und jungen Frauen begegnete, die exotischer und
avancierter waren und bessere Verbindungen hatten als sie. So jedenfalls hatte
er sich das vor dem n. September vorgestellt.
Bewusst
legte er Connies Besuch auf
ein Wochenende, an dem Jonathan wegen eines jüdischen Feiertags bei sich zu
Hause in NoVa war. Die ganze Zeit kampierte sie auf Joeys Bett, neben sich auf dem Fußboden ihre Reisetasche, in der sie ihre
Sachen verstaute, sobald sie sie nicht mehr brauchte, als wollte sie ihre
Präsenz minimieren. Während Joey versuchte, für ein Seminar am Montagvormittag
Piaton zu lesen, blätterte sie die Fotografien der Kommilitonen in Joeys Erstsemester-Jahrbuch durch und lachte über diejenigen mit komischem
Gesichtsausdruck oder unglücklichem Namen. Bailey Bodsworth, Crampton Ott, Taylor Tuttle. Nach Joeys verlässlicher Zählung schliefen sie in vierzig Stunden achtmal
miteinander und dröhnten sich wiederholt mit dem hydroponisch gezogenen Gras,
das sie mitgebracht hatte, zu. Als es Zeit wurde, sie zum Busbahnhof zu
bringen, spielte er ihr für die strapaziöse zwanzigstündige Rückfahrt nach
Minnesota eine Ladung neuer Lieder auf ihren MP3- Player.
Die traurige Wahrheit war, dass er sich für sie verantwortlich fühlte und
wusste, dass er in jedem Fall mit ihr Schluss machen musste, bloß keine Ahnung
hatte, wie.
Am
Busbahnhof schnitt er das Thema ihrer Ausbildung an, die zu verfolgen sie
versprochen, in ihrer verstockten Art, ohne jede Erklärung, aber irgendwie
nicht begonnen
Weitere Kostenlose Bücher