Franzen, Jonathan
Hühnerfarmen hervorgebracht wurden und ganze
Wassereinzugsgebiete kontaminierten, der katastrophalen Überfischung der
Ozeane, dem ökologischen Albtraum gezüchteter Garnelen und Lachse, der
Antibiotika-Orgie in den Milchkuh-«Fabriken» und dem durch die Globalisierung
der Erzeugnisse verschleuderten Treibstoff gab es außer Kartoffeln, Bohnen und
Tilapia aus Aquakultur nur wenig, was er guten Gewissens bestellen konnte.
«Scheiß
drauf», sagte er und klappte die Speisekarte zu. «Ich nehme das Rib-Eye.»
«Hervorragend,
eine hervorragende Feier», sagte Lalitha, deren Gesicht schon erhitzt war. «Ich
nehme das köstliche gegrillte Käsesandwich aus dem Kindermenü.»
Das Bier
schmeckte interessant. Unerwartet sauer und undelikat, wie trinkbarer Teig.
Schon nach drei, vier Schlucken pochten selten wahrgenommene Blutgefäße
verstörend in Walters Gehirn.
«Richard
hat gemailt», sagte er. «Er will kommen und mit uns an der Strategie arbeiten.
Ich habe ihm geschrieben, er soll übers Wochenende runterkommen.»
«Ha!
Siehst du? Und du hast gedacht, es lohnt sich gar nicht, ihn zu fragen.»
«Nein,
nein. Du hattest recht.»
Lalitha
fiel etwas an seinem Gesicht auf. «Freust du dich denn nicht?»
«Doch,
unbedingt!», sagte er. «Theoretisch jedenfalls. Da ist nur eine Sache, der ...
ich misstraue. Ich glaube, im Grunde begreife ich nicht, warum er mitmacht.»
«Weil wir
ungeheuer überzeugend waren!»
«Ja,
vielleicht. Oder vielleicht, weil du ungeheuer hübsch bist.»
Davon
schien sie erfreut und verwirrt zugleich. «Er ist doch ein sehr guter Freund
von dir, oder?»
«Früher
mal. Aber dann wurde er berühmt. Und jetzt sehe ich nur noch die Seiten an ihm,
denen ich nicht traue.»
«Welchen
traust du denn nicht?»
Walter
schüttelte den Kopf, er wollte es nicht sagen.
«Traust du
ihm nicht in Bezug auf mich?»
«Nein, das
wäre doch sehr dumm, nicht? Denn was geht es mich an, was du tust? Du bist
erwachsen, du kannst selbst auf dich aufpassen.»
Lalitha
lachte ihn aus; jetzt freute sie sich nur noch und war nicht mehr verwirrt.
«Ich finde
ihn sehr witzig und charismatisch», sagte sie. «Aber vor allem hat er mir
einfach leidgetan. Weißt du, was ich meine? Er scheint mir einer dieser Männer
zu sein, die ständig eine Attitüde aufrechterhalten müssen, weil sie innerlich
schwach sind. Er ist nicht annähernd so männlich wie du. Als wir uns
unterhielten, habe ich immer nur gesehen, wie sehr er dich bewundert und wie er
versucht hat, es nicht zu deutlich zu zeigen. Hast du das nicht gesehen?»
Das Ausmaß
der Freude, mit der Walter das hörte, kam ihm gefährlich vor. Er wollte es
glauben, misstraute ihm aber, weil er wusste, dass Richard auf seine Weise
unerbittlich war.
«Im Ernst,
Walter. So ein Typus von Mann ist sehr primitiv. Alles, was
er vorzuweisen hat, ist Ansehen, Selbstbeherrschung und eine Attitüde. Er hat
nur eine Kleinigkeit, du dagegen hast alles andere.»
«Aber die
Welt will nun mal das, was er hat», sagte Walter. «Du hast doch den ganzen
LexisNexis-Kram über ihn gelesen, du weißt doch, was ich meine. Die Welt
belohnt nicht Ideen oder Emotionen, sie belohnt Integrität und Coolness. Und deshalb traue ich ihm nicht. Er hat alles so eingerichtet, dass er
immer auf der Gewinnerseite ist. Insgeheim glaubt er ja vielleicht, dass er
das, was wir tun, bewundert, aber öffentlich wird er es nie zugeben, weil er
seine Attitüde aufrechterhalten muss, denn das
will die Welt, und das weiß er.»
«Ja, aber
deshalb ist es auch so schön, dass er für uns arbeiten wird. Ich will nicht,
dass du cool bist, ich mag coole Männer nicht. Ich mag Männer wie dich. Aber
Richard kann uns bei der Öffentlichkeitsarbeit helfen.»
Walter war
erleichtert, als die Bedienung kam, um ihre Bestellung aufzunehmen, und der
Freude, mit der er hörte, warum Lalitha ihn mochte, ein Ende setzte. Doch die
Gefahr wurde nur noch größer, als sie ihren zweiten Martini trank.
«Kann ich
dich was Persönliches fragen?», sagte sie.
«Hm -
klar.»
«Die Frage
lautet: Meinst du, ich soll mir die Eileiter abbinden lassen?»
Sie hatte
so laut gesprochen, dass man es auch an anderen Tischen hätte hören können,
und Walter legte reflexhaft einen Finger auf den Mund. Er fühlte sich ohnehin
schon auffällig genug, empfand sich als schreiend städtisch, wie er da
inmitten der beiden Spielarten ländlicher West-Virginier, der übergewichtigen
und der spindeldürren, mit einer jungen Frau einer anderen Rasse
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