Franzen, Jonathan
fahren,
schlechterdings nicht verwehren. Er wollte ihr alles nur Mögliche bieten, wenn
er ihr schon nicht seine Liebe schenken konnte. Er ließ sie so gewähren, wie er
oft versucht gewesen war, Jessica gewähren zu lassen, es sich aber einer guten
Erziehung halber meistens verkniffen hatte.
Lalitha
saß erwartungsvoll vorgebeugt auf dem Fahrersitz, als sie den Mietwagen nach
Beckley hineinlenkte; der Regen wurde immer stärker.
«Die
Bergstraße ist morgen eine einzige Sauerei», sagte Walter mit Blick auf den
Regen und nahm missvergnügt die ältliche Griesgrämigkeit in seiner Stimme zur
Kenntnis.
«Wir
stehen um vier auf und fahren ganz langsam», sagte Lalitha.
«Ha, das
wäre ja was ganz Neues. Habe ich schon jemals erlebt, wie du auf einer Straße
langsam fährst?»
«Ich bin
ganz aufgeregt, Walter!»
«Ich
dürfte eigentlich gar nicht hier sein», sagte Walter griesgrämig. «Ich sollte
morgen früh eigentlich die Pressekonferenz geben.»
«Cynthia
meint, der Montag ist für den Nachrichtenzyklus besser», sagte Lalitha, sich
auf die Pressefrau beziehend, deren Arbeit bis dahin im Wesentlichen darin
bestanden hatte, Kontakte mit der Presse zu vermeiden.
«Ich weiß
nicht, wovor ich mich mehr fürchte», sagte Walter.
«Dass
niemand kommt oder dass der Raum voller Journalisten ist.»
«Ach, wir
wollen den Raum eindeutig voll haben. Das ist doch eine ungeheure Nachricht,
wenn man sie richtig rüberbringt.»
«Ich weiß
nur, dass ich mich davor fürchte.»
Mit
Lalitha in Hotels zu übernachten war zum vielleicht schwierigsten Teil ihrer
Arbeitsbeziehung geworden. In Washington, wo sie über ihm wohnte, hielt sie
sich wenigstens in einem anderen Stockwerk auf, und Patty war da und störte das
Bild. Im Days Inn in
Beckley steckten sie identische Schlüsselkarten in identische Türen, fünf Meter
voneinander entfernt, und betraten Zimmer, deren identische Tristesse nur eine
sengende verbotene Liebschaft hätte überwinden können. Walter konnte nicht
umhin, sich vorzustellen, wie allein Lalitha in ihrem identischen Zimmer war.
Sein Minderwertigkeitsgefühl basierte zum Teil auf schlichtem Neid - Neid auf
ihre Jugend, Neid auf ihren naiven Idealismus, Neid auf die Unkompliziertheit
ihrer Lage, verglichen mit der Unhaltbarkeit der seinen -, und ihm schien, dass
ihr Zimmer, wenngleich äußerlich identisch, das Zimmer der Fülle, das Zimmer
des schönen und zulässigen Sehnens war und seines das der Leere und des
sterilen Verbots. Er schaltete CNN an,
einfach nur, um ein Geräusch zu hören, und sah, während er sich für eine
einsame Dusche auszog, einen Bericht über das jüngste Blutbad im Irak.
Am Morgen
des Vortags, bevor er zum Flughafen aufgebrochen war, hatte Patty in der Tür
ihres Schlafzimmers gestanden. «Ich formuliere es mal so offen wie möglich»,
sagte sie. «Du hast meine Erlaubnis.»
«Erlaubnis
wofür?»
«Du weißt,
wofür. Und ich sage, du hast sie.»
Er hätte
vielleicht fast geglaubt, dass sie es ernst meinte, wenn ihr Gesichtsausdruck
nicht so angespannt gewesen wäre und sie beim Reden nicht so jammervoll die
Hände gerungen hätte.
«Egal, was
du damit meinst», sagte er, «ich will deine Erlaubnis nicht.»
Sie hatte
ihn erst flehentlich, dann verzweifelt angesehen und schließlich allein
gelassen. Eine halbe Stunde später klopfte er auf seinem Weg nach draußen an
die Tür des kleinen Zimmers, in dem sie schrieb und mailte und, in letzter Zeit
immer häufiger, auch schlief. «Schatz», sagte er durch die Tür. «Dann bis
Donnerstagabend.» Als sie nicht antwortete, klopfte er erneut und ging hinein.
Sie saß auf dem Schlafsofa und umklammerte die Finger der einen Hand mit der
Faust der anderen. Ihr Gesicht war rot, mitgenommen, tränenverschliert. Er
kauerte zu ihren Füßen nieder und hielt ihre Hände, die schneller alterten als
das Übrige an ihr: die knochig und dünnhäutig waren. «Ich liebe dich», sagte
er. «Verstehst du das?»
Sie nickte
rasch, biss sich auf die Lippe, dankbar, aber nicht überzeugt. «Ist gut»,
flüsterte sie kieksend. «Geh jetzt besser.»
Wie viele
tausend Male, fragte er sich, als er die Treppe zum Stiftungsbüro
hinunterging, lasse ich noch zu, dass diese Frau mir ins Herz sticht?
Die arme
Patty, die arme, konkurrenzorientierte, verlorene Patty, die in Washington
nichts auch nur annähernd Tapferes oder Bewundernswertes zuwege brachte, ihr
konnte nicht verborgen bleiben, wie sehr er Lalitha bewunderte. Der Grund
dafür, dass er sich
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