Franzen, Jonathan
nicht gestatten konnte, auch nur daran zu denken, Lalitha
zu lieben, geschweige denn etwas dahingehend zu unternehmen, war Patty. Und
zwar nicht nur, weil er den Buchstaben des Ehegesetzes achtete, sondern auch,
weil er die Vorstellung, dass sie wusste, es gab da jemanden, von dem er eine
höhere Meinung hatte als von ihr, unerträglich fand. Lalitha war besser als
Patty. Das war einfach so. Doch Walter wollte lieber sterben, als Patty diese
simple Tatsache einzugestehen, denn wie sehr er Lalitha auch einmal lieben
mochte und wie unlebbar sein Leben mit Patty auch geworden war, liebte er Patty
doch auf eine völlig andere Weise, eine allgemeinere und abstraktere, aber
nichtsdestoweniger tiefgreifende Weise, bei der es um ein ganzes Leben in
Verantwortung, um Gutsein ging. Würde er Lalitha feuern, tatsächlich und/oder
metaphorisch, dann würde sie ein paar Monate Tränen vergießen und danach ihr
Leben fortsetzen und mit einem anderen Gutes tun. Lalitha war jung und mit
Klarheit gesegnet. Wohingegen Patty es immer noch brauchte, auch wenn sie
häufig grausam zu ihm war und sich in letzter Zeit immer öfter seinen Zärtlichkeiten
entzog, dass er sie auf Händen trug. Das wusste er, denn warum sonst hatte sie
ihn nicht verlassen? Er wusste es sehr, sehr wohl. In Pattys Mitte war eine Leere, die nach besten Kräften mit Liebe zu füllen
seine Lebensaufgabe war. Glomm ein feiner Hoffnungsschimmer, den er allein
bewahren konnte. Und daher blieb ihm, obwohl seine Lage schon jetzt unhaltbar
war und mit jedem Tag unhaltbarer zu werden schien, nichts anderes übrig, als
damit weiterzumachen.
Er trat
aus der Moteldusche, wobei er jeden Blick auf den ungeheuerlichen weißen,
mittelalten Körper im Spiegel sorgfältig mied, und fragte sein BlackBerry nach
Nachrichten ab; Richard Katz hatte eine geschickt.
Hey
Alter, bin mit dem Job jetzt fertig hier. Sehen wir uns in Washington oder
was? Wohne ich im Hotel oder schlafe auf eurem Sofa? Ich will alle Spesen, die
mir zustehen. Beste Grüße an deine shcönen Frauen. RK
Die
Beklommenheit, mit der Walter die Nachricht las, war ungewissen Ursprungs.
Möglich, dass ihn nur der Tippfehler an Richards fundamentale Achtlosigkeit
erinnerte, möglich aber auch, dass es ein Nachgeschmack von ihrem Treffen zwei
Wochen zuvor in Manhattan war. Auch wenn Walter sich sehr gefreut hatte,
seinen alten Freund wiederzusehen, war ihm noch nachgegangen, wie Richard in
dem Restaurant darauf beharrt hatte, dass Lalitha das Wort verfickt wiederholte,
ja wie er sich später die Freiheit hatte herausnehmen können, auf ihr Interesse
an Oralsex anzuspielen, und auf welche Weise er selbst, in der Bar der Penn
Station, noch über Patty hergezogen war, wozu er sich sonst bei niemandem hinreißen
ließ. Mit siebenundvierzig noch zu versuchen, seinen College-Zimmergenos sen damit zu beeindrucken, dass er seine Frau runtermachte und
Vertraulichkeiten weitergab, die besser ungesagt geblieben wären: es war
erbärmlich. Obwohl Richard sich anscheinend auch gefreut hatte, ihn zu sehen,
wurde Walter das altvertraute Gefühl nicht los, dass Richard versuchte, ihm
seine Katz'sche Weltsicht aufzudrängen und ihn dadurch mattzusetzen. Als
Richard, bevor sie auseinandergingen, zu Walters Überraschung eingewilligt
hatte, seinen Namen und sein Konterfei dem Kreuzzug gegen die Überbevölkerung
zur Verfügung zu stellen, hatte Walter sogleich Lalitha angerufen und ihr die
großartige Nachricht mitgeteilt. Doch nur sie hatte sie mit ungetrübter
Begeisterung aufnehmen können. Walter war in den Zug nach Washington gestiegen
und hatte sich gefragt, ob er das Richtige getan hatte.
Und warum
hatte Richard in seiner E-Mail die Schönheit Lalithas
und Pattys erwähnt? Warum hatte er nur sie
und nicht auch Walter selbst gegrüßt? Auch das nur eine Achtlosigkeit? Das
glaubte Walter nicht.
Ein paar
Häuser weiter vom Days Inn gab es
ein Steakhaus, in dem alles aus Plastik war, aber immerhin hatte es eine
ordentliche Bar. Es war lächerlich, ausgerechnet da hinzugehen, da weder Walter
noch Lalitha Rind aßen, aber der Mann vom Motel hatte nichts Besseres zu
empfehlen gewusst. In einer plastikbestuhlten Nische klickte Walter mit dem
Rand seines Bierglases an Lalithas Martini Dry, mit dem sie gleich darauf kurzen Prozess machte. Er bedeutete der
Kellnerin, einen weiteren zu bringen, und durchlitt sodann die Lektüre der
Speisekarte. Zwischen dem Grauen des Rindermethans, den Seen aus Exkrementen,
die von Schweine- und
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