Franzen, Jonathan
saß.
«Ich finde
es nur folgerichtig», sagte sie leiser, «weil ich ja weiß, dass ich keine
Kinder haben will.»
«Tja»,
sagte er, «ich ... ich weiß nicht...» Er wollte sagen, dass eine
Schwangerschaft, da Lalitha ihren langjährigen Freund Jairam so selten sah,
wohl kaum ein drängendes Problem war und dass sie, sollte sie tatsächlich
zufällig schwanger werden, immer noch eine Abtreibung vornehmen konnte.
Allerdings schien es ihm vollkommen unangebracht zu sein, über die Eileiter
seiner Assistentin zu sprechen. Sie lächelte ihn mit einer Art duseliger Scheu
an, als wollte sie seine Erlaubnis einholen oder fürchtete seine
Missbilligung. «Grundsätzlich glaube ich», sagte er, «dass Richard recht hatte,
falls du dich an das erinnerst, was er gesagt hat. Er hat gesagt, die Menschen
ändern in solchen Dingen ihre Meinung. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn du
dir alle Möglichkeiten offenlässt.»
«Aber was
ist, wenn ich nun mal weiß, dass ich
jetzt schon richtigliege und meinem künftigen Ich nicht traue?»
«Na, in
der Zukunft bist du eben nicht mehr dein altes Ich. Dann bist du dein neues.
Und dein neues Ich könnte etwas anderes wollen.»
«Dann scheiß auf mein
künftiges Ich», sagte Lalitha und beugte sich vor. «Wenn es sich fortpflanzen
will, halte ich schon jetzt nichts davon.»
Walter
zwang sich, nicht auf die anderen Gäste zu schauen. «Warum fällt dir das jetzt
überhaupt ein? Du siehst Jairam doch kaum noch.»
«Weil
Jairam Kinder will, deshalb. Er glaubt nicht, wie ernst es mir damit ist, keine
zu wollen. Ich muss es ihm
beweisen, damit er mich nicht weiter damit belämmert. Ich möchte nicht mehr
seine Freundin sein.»
«Ich weiß
wirklich nicht, ob wir so etwas besprechen sollten.»
«Na gut,
aber mit wem soll ich dann darüber sprechen? Du bist der Einzige, der mich
versteht.»
«0 Gott,
Lalitha.» Walters Kopf schwamm vom Bier. «Das tut mir sehr leid. Wirklich sehr
leid. Ich habe das Gefühl, ich habe dich in etwas reingezogen, in das ich dich
niemals hätte reinziehen dürfen. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir, und
ich ... Ich habe das Gefühl, ich habe dich in etwas reingezogen.»
Das klang
alles völlig falsch. In dem Bemühen, etwas Eingrenzendes, Spezifisches zum
Problem der Weltbevölkerung zu sagen, hatte er es geschafft, sich so anzuhören,
als sagte er etwas Umfassendes über sie beide. Hatte den Eindruck erweckt, als
schlösse er eine weitergehende Möglichkeit aus, die auszuschließen er da noch
gar nicht bereit war, auch wenn er wusste, dass es diese Möglichkeit eigentlich
nicht gab.
«Es sind
meine Gedanken, nicht deine», sagte Lalitha. «Du hast sie mir nicht in den Kopf
gesetzt. Ich habe dich nur um Rat gefragt.»
«Tja, und
mein Rat ist, tu's nicht.»
«Gut. Dann
trinke ich noch einen. Oder rätst du mir auch davon ab?»
«Ich rate
dir in der Tat davon ab.»
«Dann
bestell mir trotzdem noch einen.»
Vor Walter
tat sich ein Abgrund auf, zum sofortigen Hineinspringen verfügbar. Er war
schockiert darüber, wie schnell sich so etwas vor ihm auftun konnte. Das
einzige andere Mal - oder, nein, nein, nein, das einzige Mal -, als
er sich verliebt hatte, war fast ein Jahr ins Land gegangen, bevor er dem
nachgegeben hatte, und selbst da hatte Patty ihm am Ende die Schwerstarbeit
größtenteils abgenommen. Und nun schien es, als könnten solche Dinge binnen Minuten bewerkstelligt
werden. Nur noch ein paar leichtsinnige Worte, noch ein Schluck Bier, dann
wusste allein Gott...
«Ich
meinte bloß», sagte er, «dass ich dich zu weit in das Überbevölkerungsproblem
reingezogen habe. Sodass du wie besessen davon bist. Mit meiner dummen Wut, mit
meinen Themen. Etwas Weitergehendes wollte ich gar nicht sagen.»
Sie
nickte. Winzige Tränenperlen klammerten sich an ihre Wimpern.
«Ich
empfinde dir gegenüber tiefe Vatergefühle», plapperte er. «Verstehe.»
Aber auch Vatergefühle war falsch - zu sehr schloss es jene Liebe aus, die er sich, und
dieses Eingeständnis war noch immer zu schmerzhaft, niemals gestatten würde.
«Natürlich»,
sagte er, «bin ich zu jung, um dein Vater zu sein, oder fast zu jung, und
außerdem hast du sowieso deinen eigenen Vater. Ich habe mich eigentlich nur
darauf bezogen, dass du mich um einen väterlichen Rat gebeten hast. Dass ich
als dein Vorgesetzter und als beträchtlich älterer Mensch dir gegenüber eine
Art ... Fürsorglichkeit empfinde. In dieser Hinsicht
Vatergefühle>. Nicht in irgendeinem tabuisierten
Weitere Kostenlose Bücher