Franzen, Jonathan
Sinn.»
Das klang
alles wie ausgemachter Unsinn, noch während er es sagte. Verdammt nochmal,
Tabus waren sein einziges Problem. Lalitha, die das zu wissen schien, hob ihren
reizenden Blick und schaute mitten hinein in seine Augen. «Du musst mich nicht
lieben, Walter. Ich kann doch einfach dich lieben. Ja? Du kannst mich nicht
davon abhalten, dich zu lieben.»
Der
Abgrund weitete sich schwindelerregend.
«Ich liebe
dich aber!», sagte er. «Ich meine - in einem bestimmten Sinn. Einem sehr
bestimmten. Definitiv. Ziemlich. Sehr sogar. Verstehst du? Ich kann nur nicht
erkennen, wohin uns das führen soll. Ich meine, wenn wir weiterhin
zusammenarbeiten wollen, können wir auf keinen Fall so reden. Das ist schon
jetzt sehr, sehr, sehr, sehr schlimm.»
«Ja, ich
weiß.» Sie senkte den Blick. «Und du bist verheiratet.»
«Ja,
genau. Genau! Da haben wir's.»
«Da haben
wir's, ja.»
«Ich
besorge dir mal deinen Martini.»
Liebe
offenbart, Katastrophe abgewendet - er schaute sich nach der Bedienung um und
bestellte einen dritten Martini, nicht zu stark. Seine Gesichtsröte, die sein
ganzes Leben lang beständig erschienen und wieder verschwunden war, war nun
erschienen, ohne wieder zu verschwinden. Erhitzt wankte er auf die Toilette und
versuchte zu pinkeln. Sein Bedürfnis war drängend und zugleich schwer umzusetzen.
Er stand am Urinal, tat tiefe
Atemzüge und war schließlich so weit, die Dinge laufen zu lassen, als die Tür
aufschwang und jemand hereinkam. Walter hörte, wie der Mann sich die Hände
wusch und abtrocknete, während er mit brennenden Wangen dastand und darauf
wartete, dass seine Blase ihre Schüchternheit überwand. Erneut war er dem
Erfolg nahe, als er merkte, dass der Kerl an den Waschbecken absichtlich
trödelte. Resigniert brach er seinen Pinkelversuch ab, verschwendete mit einer
unnötigen Spülung Wasser und schloss den Hosenladen.
«Vielleicht
gehste wegen deinen Schwierigkeiten beim Pissen mal zum Arzt, he», knödelte der
Mann an den Waschbecken sadistisch. Weiß, um die dreißig, Spuren eines harten
Lebens im Gesicht, passte er genau in Walters Profil des Autofahrers, der
nichts vom Blinkersetzen hielt. Er stand dicht neben Walters Schulter, als der
sich hastig die Hände wusch und abtrocknete. «Stehst wohl auf dunkles Fleisch,
wie?»
«Was?»
«Na, ich
hab gesehn, was du da mit dem Niggermädel machst.»
«Sie ist Asiatin», sagte
Walter und ging um ihn herum. «Wenn Sie mich entschuldigen -»
«Pralinen
sind fein, aber Schnaps lullt ein, war's nicht so, Kumpel?»
In seiner
Stimme lag so viel Hass, dass Walter aus Angst vor Gewalt ohne eine Erwiderung
durch die Tür flüchtete. Seit fünfunddreißig Jahren hatte er keine Schläge
mehr ausgeteilt oder eingesteckt, und er ahnte, dass Prügel mit
siebenundvierzig viel schmerzhafter waren als mit zwölf. Sein ganzer Körper
vibrierte vor aufgestauter Aggression, und ihm schwindelte ob der
Ungerechtigkeit, als er sich vor seinen Eisbergsalat in die Nische setzte.
«Wie ist
dein Bier?», fragte Lalitha.
«Interessant»,
sagte er und leerte den Rest. Sein Kopf fühlte sich an, als wollte er sich
gleich vom Hals lösen und wie ein Luftballon an die Decke schweben.
«Entschuldige,
wenn ich etwas gesagt habe, was ich nicht hätte sagen sollen.»
«Mach dir
da keine Sorgen», sagte er. «Ich bin -» auch in dich verliebt. Ich bin
furchtbar verliebt in dich. «Ich bin in einer schwierigen
Lage, Liebes», sagte er. «Ich meine, nicht . Nicht
. Lalitha. Liebes. Ich bin in einer schwierigen Lage.»
«Vielleicht
solltest du noch ein Bier trinken», sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
«Weißt du,
es ist nämlich so, ich liebe auch meine Frau.»
«Ja,
natürlich», sagte sie. Aber sie versuchte gar nicht
erst, ihm da herauszuhelfen. Sie krümmte den Rücken wie eine Katze und schob
sich über den Tisch, stellte die zehn matten Nägel ihrer schönen, jungen Hände
zu beiden Seiten seines Salattellers zur Schau, eine Aufforderung, sie zu
berühren. «Ich bin ja so betrunken!», sagte sie und lächelte ihn verrucht an.
Er warf
einen Blick durch den Plastikspeiseraum, um festzustellen, ob sein
Toilettenpeiniger dies womöglich beobachtete. Der Kerl war nicht in Sichtweite,
und auch sonst starrte niemand ungebührlich her. Als er dann auf Lalitha
hinabsah, die sich mit der Wange auf den Plastiktisch schmiegte, als wäre er
das weichste aller Kissen, fielen ihm die Worte von Richards Prophezeiung ein.
Das Mädchen auf
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