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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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den Knien, wippender Kopf, ein Aufwärtsstrahlen. Oh, die billige
Klarheit von Richard Katz' Weltsicht. Aufwallende Verärgerung durchbrach das
Summen in seinem Kopf und stabilisierte ihn. Dieses Mädchen ausnutzen, das
konnte Richard machen, aber nicht er.
    «Sitz
aufrecht», sagte er streng.
    «Gleich»,
murmelte sie und wackelte mit den gestreckten Fingern.
    «Nein,
jetzt. Wir sind das Aushängeschild der Stiftung, und dessen müssen wir uns
bewusst sein.»
    «Ich
glaube, du musst mich jetzt eventuell nach Hause bringen, Walter.»
    «Erst
müssen wir dir ein wenig zu essen geben.»
    «Mhm»,
sagte sie und lächelte mit geschlossenen Augen.
    Walter
stand auf, fing die Kellnerin ab und bat sie, ihre Gerichte zum Mitnehmen
einpacken zu lassen. Als er zur Nische zurückkehrte, hing Lalitha, den halb
getrunkenen dritten Martini am Ellbogen, noch immer über dem Tisch. Er zog sie
hoch, führte sie, ihren Oberarm fest umfasst haltend, nach draußen und
platzierte sie auf dem Beifahrersitz. Als er wieder hineinging, um das Essen zu
holen, stieß er in dem verglasten Windfang auf seinen Peiniger aus der
Toilette.
    «Geil auf
dunkles Fleisch, was, du Sau», sagte der Kerl. «Was für 'n beschissener
Anblick. Was machst du hier überhaupt?»
    Walter
versuchte, an ihm vorbeizugehen, doch der Kerl versperrte ihm den Weg.
    «Ich hab
dich was gefragt», sagte er.
    «Kein
Interesse», sagte Walter.
    Er wollte
sich vorbeidrängen, doch er wurde heftig gegen die Scheibe gestoßen, sodass das
Gebälk des Windfangs wackelte. In dem Augenblick, bevor Schlimmeres geschehen
konnte, ging die innere Tür auf, und die abgebrühte Wirtin des Restaurants
fragte, was los sei.
    «Dieser
Mann belästigt mich», sagte Walter schwer atmend. «Scheißperverser.»
    «Das
müssen Sie vor dem Lokal austragen», sagte die Wirtin.
    «Ich geh
nirgends hin. Der Perverse da, der geht.»
    «Dann
setzen Sie sich wieder an Ihren Tisch und reden in einem anderen Ton mit mir.»
    «Ich kann
gar nichts essen, von dem dreht sich mir der Magen um.»
    Walter
ließ die beiden die Angelegenheit unter sich klären und ging hinein, wo er ins
Fadenkreuz des finsteren, hasserfüllten Blickes geriet, den eine füllige junge
Blondine auf ihn richtete, eindeutig die Begleiterin seines Peinigers, die
allein an einem Tisch bei der Tür saß. Während er auf das Essen wartete, fragte
er sich, warum er und Lalitha ausgerechnet an diesem Abend einen solchen Hass
provoziert hatten. Hin und wieder hatten sie Blicke auf sich gezogen, zumeist
in kleineren Städten, aber nie war etwas Derartiges passiert. Tatsächlich war
er von der Zahl schwarz-weißer Paare, die er in Charleston gesehen hatte,
angenehm überrascht gewesen, auch davon, dass auf der Liste der zahlreichen
Gebrechen dieses Bundesstaates Rassismus nicht sehr weit oben rangierte. West
Virginia war in weiten Teilen zu weiß, als dass die Rassenzugehörigkeit ein
großes Thema gewesen wäre. Er sah sich zu der Folgerung genötigt, dass das,
was die Aufmerksamkeit des jungen Paars hatte erregen können, seine Schuld
gewesen war, seine schmutzige Schuld, die von ihm in der Nische ausgestrahlt
hatte. Nicht Lalitha hassten sie, sie hassten ihn. Und er
verdiente es. Als endlich das Essen kam, zitterten seine Hände so sehr, dass er
kaum den Kreditkartenzettel unterschreiben konnte.
    Vor dem Days Inn trug er Lalitha durch den Regen und setzte sie vor ihrer Tür ab.
Er bezweifelte kaum, dass sie hätte selber gehen können, doch er wollte ihr den
Wunsch erfüllen, auf ihr Zimmer getragen zu werden. Und es tat auch gut, sie
auf den Armen zu tragen wie ein Kind; es erinnerte ihn an seine Pflichten. Als
sie sich auf das Bett setzte und umsank, deckte er sie mit der Tagesdecke zu,
so wie er einst Jessica und Joey zugedeckt hatte.
    «Ich gehe
nach nebenan und esse was», sagte er, wobei er ihr zärtlich die Haare aus der
Stirn strich. «Ich lass dir deins hier stehen.»
    «Nein»,
sagte sie. «Bleib und sieh fern. Ich bin gleich wieder nüchtern, dann können
wir zusammen essen.»
    Auch
diesen Wunsch erfüllte er ihr, machte PBS auf Kabel
ausfindig und sah noch den Schluss von NewsHour - einen
Bericht über John Kerrys Vietnamkriegsvergangenheit, dessen Belanglosigkeit
ihn so nervös machte, dass er ihm kaum folgen konnte. Überhaupt ertrug er fast
gar keine Nachrichtensendung mehr. Alles, einfach alles überschlug sich. Er
empfand jähe Sympathie für Kerrys Wahlkampf, dem nun keine sieben Monate mehr
blieben, um die Stimmung im Land

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