Franzen, Jonathan
diagonalen Avenuen jedes Mal wieder kirre.
Er kam sich vor wie eine Ratte in einem Regierungslabyrinth. Nach dem, was er
vom Rücksitz seines Taxis aus sehen konnte, brachte der Fahrer ihn nicht nach
Georgetown, sondern zur israelischen Botschaft zum verschärften Verhör. In
jedem Viertel schienen die Fußgänger alle die gleichen Drögheitspillen
genommen zu haben. Als wäre individueller Stil eine flüchtige Substanz, die in
der Menschenleere der Gehwege und höllisch großen Plätze Washingtons
verdunstete. Die ganze Stadt war ein einsilbiger Imperativ, der auf Katz in
seiner abgewetzten Biker-Jacke zielte. Und ihm sagte: Stirb.
Die Villa
in Georgetown hatte allerdings Charakter. Wie Katz zu wissen glaubte, hatten
Walter und Patty dieses
Haus nicht persönlich ausgesucht, und doch spiegelte es den hervorragenden
bürgerlich-urbanen Geschmack, den er von ihnen inzwischen erwartete. Es hatte
ein Schieferdach mit mehreren Mansardenfenstern und im Erdgeschoss hohe
Fenster, die auf etwas hinausgingen, was tatsächlich Ähnlichkeit mit einem
kleinen Rasen erkennen ließ. Über der Klingel räumte ein Messingschild diskret
den Sitz der waldsänger-berg-stiftung ein.
Jessica
Berglund öffnete die Tür. Katz hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie an der
Highschool gewesen war, und bei ihrem Anblick, so ganz erwachsen und fraulich,
zeigte er ein freudiges Lächeln. Sie hingegen wirkte verärgert und zerstreut
und grüßte ihn kaum. «Hallo, ahm», sagte sie, «geh doch gleich in die Küche durch,
ja?»
Sie
blickte über die Schulter auf einen langen, mit Parkett ausgelegten Flur. An
dessen Ende stand die indische Frau. «Hallo, Richard», rief sie und winkte ihm
nervös zu.
«Einen
kleinen Moment noch», sagte Jessica. Sie schritt durch den Flur, und Katz
folgte ihr mit seiner Reisetasche, vorbei an einem großen Zimmer voller
Schreibtische und Aktenschränke und einem kleineren mit einem Sitzungstisch. Es
roch nach warmen Halbleitern und frischen Papiererzeugnissen. In der Küche
stand der große französische Bauerntisch, den er noch aus St. Paul kannte.
«Entschuldige mich noch einen Moment», sagte Jessica und folgte Lalitha in
einen eher geschäftsführermäßig wirkenden Bereich im hinteren Bereich des
Hauses.
«Ich bin
diejenige, die jung ist», hörte er sie dort sagen. «Okay? Diejenige, die hier
jung ist, bin ich. Kapierst du das?»
Lalitha:
«Ja, natürlich! Deshalb ist es ja so wunderbar, dass du hergekommen bist. Ich
sage doch nur, dass ich selber auch nicht so alt bin.»
«Du bist
siebenundzwanzig!»
«Und das
ist nicht jung?»
«Wie alt
warst du, als du dein erstes Handy gekriegt hast? Wann bist du das erste Mal
ins Internet gegangen?»
«Da war
ich am College. Aber, Jessica, hör doch mal -»
«Zwischen
College und Highschool ist ein großer Unterschied.
Heutzutage
kommuniziert man auf eine völlig andere Art und Weise. Eine, die Leute meines
Alters viel früher gelernt haben als du.»
«Das weiß
ich doch. Da sind wir einer Meinung. Ich begreife nur nicht, warum du so wütend
auf mich bist.»
«Warum ich
wütend bin? Weil du meinem Dad einredest,
dass du zum Thema junge Leute die große Expertin bist, aber die bist du eben nicht, wie du
soeben voll demonstriert hast.»
«Jessica,
ich kenne den Unterschied zwischen einer SMS und einer E-Mail. Ich habe mich
versprochen, weil ich müde bin. Die ganze Woche habe ich kaum geschlafen. Es
ist nicht fair, dass du so ein Aufhebens darum machst.»
«Verschickst du überhaupt mal eine SMS?»
«Das muss ich nicht. Wir haben BlackBerrys, die machen dasselbe, nur besser.»
«Das ist
nicht dasselbe! Gott. Genau das meine ich doch! Wenn du
nicht mit Handys an der Highschool aufgewachsen bist, verstehst du nicht, dass
Simsen sich sehr, sehr vom Mailen unterscheidet. Das ist eine total andere
Form, mit anderen Leuten in Kontakt zu sein. Ich habe Freunde, die kaum noch
ihre E-Mails abfragen. Und wenn du und Dad euch an
College-Kids wenden wollt, dann ist es echt wichtig, das zu verstehen.»
«Na gut.
Sei sauer auf mich. Dann sei eben sauer. Aber ich habe heute Abend noch zu
arbeiten, und du musst mich jetzt in Ruhe lassen.»
Kopfschüttelnd,
den Mund zusammengekniffen, kehrte Jessica in die Küche zurück. «Entschuldige»,
sagte sie. «Vielleicht möchtest du ja duschen und dann was essen. Oben ist ein
Esszimmer, das man durchaus ab und an benutzen könnte. Ich habe ein, ahm.»
Zerstreut sah sie sich um. «Ich habe als Abendessen einen großen Salat
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