Franzen, Jonathan
unten kam, wartete auf dem Esstisch schon das Abendessen auf ihn.
Jessica setzte sich ans andere Ende, die Arme fest verschränkt - sie war
ohnehin ein recht verspanntes Mädchen -, und sah ihm beim Essen zu.
«Glückwunsch übrigens», sagte sie, «zu allem, was so passiert ist. Es war schon
sehr seltsam, dich auf einmal überall zu hören und dich auf der Playlist von
praktisch jedem zu sehen.»
«Und du?
Was hörst du so?»
«Ich stehe
mehr auf Weltmusik, besonders afrikanische und südamerikanische. Aber deine
Platte hat mir auch gefallen. Auf jeden Fall hab ich den See wiedererkannt.»
Es war
möglich, dass sie damit etwas Bestimmtes meinte, ebenso gut aber auch nicht.
Konnte Patty ihr erzählt haben, was am See
geschehen war? Ihr und nicht Walter?
«Und
sonst?», sagte er. «Es klang ganz so, als hättest du mit Lalitha ein kleines
Problem.»
Wieder das
amüsierte oder ironische Weiten der Augen.
«Was?»,
sagte er.
«Ach,
nichts. Ich bin in letzter Zeit nur ein bisschen ungeduldig mit meiner
Familie.»
«Ich habe
den Eindruck, dass sie für deine Eltern ein gewisses Problem ist.»
«Mhm.»
«Sie
scheint aber nicht ohne zu sein. Klug, voller Energie, engagiert.»
«Mhm.»
«Möchtest
du mir was sagen?»
«Nein! Ich
glaube nur, dass sie irgendwie ein Auge auf meinen Dad geworfen hat. Und das macht meine Mom irgendwie fertig. Das mit
anzusehen. Ich finde irgendwie, wenn einer verheiratet ist, lässt man die
Finger von ihm, oder? Wenn er verheiratet ist, ist er tabu. Stimmt's?»
Katz,
unsicher, wohin das führen mochte, räusperte sich. «Theoretisch ja», sagte er.
«Aber mit zunehmendem Alter wird das Leben komplizierter.»
«Das heißt
aber nicht, dass ich sie mögen muss. Und ich muss sie auch nicht akzeptieren. Ich weiß nicht, ob dir klar ist, dass sie
gleich hier oben wohnt? Sie ist die ganze Zeit hier. Sie ist
öfter hier als meine Mom. Und das finde ich nicht ganz fair. Ich finde, sie
sollte ausziehen und eine eigene Wohnung haben. Aber ich glaube nicht, dass
mein Dad das will.»
«Und warum
will er das nicht?»
Jessica
lächelte Katz schmal, sehr unfroh an. «Meine Eltern haben eine Menge Probleme.
In ihrer Ehe gibt's eine Menge Probleme. Um das zu erkennen, braucht man kein
Hellseher zu sein. Also, dass meine Mom echt depressiv ist. Seit Jahren schon.
Und sie kommt da nicht raus. Aber sie lieben sich, ich weiß, sie lieben
sich, und es macht mich richtig krank, was hier abgeht. Wenn sie einfach gehen würde -
Lalitha, meine ich -, wenn sie einfach gehen würde, damit meine Mom wieder eine
Chance hätte ...»
«Steht ihr
euch nahe, deine Mom und du?»
«Nein.
Eher nicht.»
Katz aß
schweigend und wartete darauf, mehr zu hören. Zum Glück hatte er Jessica
offenbar in einer Stimmung erwischt, in der sie sich dem nächstbesten Menschen
anvertraute.
«Na ja,
sie ist bemüht», sagte sie. «Aber sie hat echt das Talent, das Falsche zu
sagen. Sie respektiert nicht, dass ich eine eigene Meinung habe. Sozusagen
prinzipiell eine intelligente Erwachsene bin, die sich ihre eigenen Gedanken
macht? Mein Freund am College, der war unglaublich lieb, und sie war einfach
grässlich zu ihm. Als hätte sie Angst gehabt, dass ich ihn heirate, also musste
sie ständig über ihn herziehen. Er war mein erster richtiger Freund, und das
wollte ich einfach mal eine Weile genießen, aber sie hat nicht lockergelassen.
Einmal, da sind William und ich übers Wochenende hergekommen, wir wollten ins
Museum und auf eine Demo für die Schwulenehe. Wir haben hier gewohnt, und da
hat sie ihn doch glatt gefragt, ob es ihm gefällt, wenn Mädchen auf Verbindungspartys
ihre Brüste zeigen. Sie hatte so einen dummen Zeitungsartikel über Jungs
gelesen, die Mädchen zurufen, sie sollen ihre Brüste zeigen. Und ich so, nein,
Mutter, ich bin nicht an der Virginia. An meinem College gibt es keine
Verbindungen, das ist bloß so ein dummes Steinzeitding, das sie in den
Südstaaten machen, ich fahre in den Frühjahrsferien auch nicht nach Florida,
wir sind nicht wie die in deinem dummen Artikel. Aber sie hat einfach nicht
lockergelassen. Ständig fragte sie William, wie er die Brüste anderer Mädchen
findet. Und tat ständig überrascht, wenn er sagte, die interessierten ihn
nicht. Sie hat gewusst, dass er ehrlich war, geschweige
denn voll peinlich berührt, dass die Mutter seiner Freundin über Brüste redet,
aber sie hat so getan, als würde sie ihm nicht glauben. Für sie war das Ganze
ein Witz. Sie wollte, dass ich
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